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Wizards of OS 4. Information Freedom Rules

Wir schreiben das Jahr 2006. 15 Jahre nach Start der GNU General Public License, zehn Jahre nachdem John Perry Barlow die Unabhängigkeit des Cyberspace erklärte und fünf Jahre nach Gründung der Wikipedia. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Freie Protokolle ermöglichen das Internet. Freie Software dominiert auf den Servern. Die Freiheitsbewegung in den Wissenschaften geht mit großen Schritten voran. Die freie, kooperative Online Enzyklopädie Wikipedia ist als Referenz fest etabliert. Und jeden Tag sind es mehr Menschen, die kulturelle Ausdrucksformen jeder Art frei erschaffen und miteinander austauschen.

Doch was ist die Freiheit, die wir meinen? Ist freie Information an der Macht oder eine Nische? Welche Regeln hat sie hervorgebracht, welche benötigt sie, um nachhaltig zu werden? Gibt es eine Essenz der Freiheit oder ist Freiheit graduell und setzt sich aus Optionen zusammen, wie Creative Commons nahelegt? Steht „Freiheit von" im Vordergrund oder „Freiheit zu"? Ist frei nur, wer es sich leisten kann, oder gerade, wer nichts mehr zu verlieren hat? WOS4 sondiert dieses offene Gelände während es sich vor uns ausrollt.
„I am an enthusiast of free software and of the wide use of the Internet as the means of democratising access to information, in an interactive process of exchanging and sharing, which I believe to be the most intense, the most radical, the most innovative manifestation of the freedom of thought, of expression and of creation."
(Gilberto Gil, Kulturminister Brasiliens)

Die digitale Revolution hat die medientechnischen und die Eigentumsvoraussetzungen von kulturellen, künstlerischen und allen anderen Wissenspraktiken tiefgreifend verändert. Die Wizards of OS hat sich mit drei Konferenzen und mehreren Workshops als Ort etabliert, an dem international, spartenübergreifend und auf hohem Niveau über die Grundlagen des kulturellen Schaffens im Digitalzeitalter debattiert wird.

Die vierte Wizards of OS unter dem Titel „Information Freedom Rules" möchte ihre Teilnehmer erneut mit diesem radikalen Geist der Freiheit und Kreativität anstecken, in Vorträgen, Diskussionen und Workshops die eindrücklichsten Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre präsentieren und zur gemeinsamen Exploration des Möglichen anregen.

Die WOS4 hat drei thematischen Schwerpunkte.




Autorschaft und Kultur

Dank der digitalen Revolution wird die Kultur von allen gemacht. Flickr, YouTube und das Internet Archive belegen es. Kulturelle Konfigurationen verschieben sich grundlegend, von täglichen Praktiken bis zu Lebensentwürfen, von Strategien der Bezugnahme auf das kulturelle Erbe bis zu neuen musikalischen und visuellen Genres. Am ausgeprägtesten zeigt sich der Effekt, wo von Schöpfung über Distribution und Wahrnehmung die Digitalität nicht verlassen wird, wie bei den Netlabels der elektronischen Musik.

Das Urheberrecht schützt das Autorsubjekt und sein geistiges Eigentum, wie sie im 18. Jahrhundert formuliert wurden. Die Medienumwelt des 21. Jahrhunderts dagegen stützt das Remixing bestehender Werke und eine geistige Großzügigkeit und Promiskuität. In Appropriation, Tropikalisierung, Hybriden und Mash-Ups verschwindet der Autor nicht etwa, doch als Kristallisationspunkt von Reputation wird er neu ausgehandelt, zwischen Persönlichkeitsrechten und Kunstfreiheit, zwischen Erwerbsarbeit der Profis und Selbstausdruck aller.

Für Musiker, die mit digitalem Equipment arbeiten, ist es logisch, das Modell der freien Software anzuwenden: die kulturellen Artefakte dürfen und sollen frei zirkulieren. Den Lebensunterhalt verdienen sie mit Dienstleistungen, also Konzerten. Eine Nation folgt einer anderen Logik. Umso bemerkenswerter ist es, das Brasilien die freie Kultur systematisch fördert. Durch die „Pontos de Cultura" werden Hunderte lokaler kultureller Gruppen im ganzen Land ins digitale Zeitalter befördert, dank recycelter Hardware, freier Software und einem Netzwerk, in dem sie ihre Arbeiten präsentieren und voneinander lernen. Digitale Inklusion macht diejenigen kreativ, um die sich als Ausgeschlossene der Sozialstaat kümmern muß. Auch in internationalen Foren setzt sich Brasilien für kulturelle Vielfalt und Autonomie und für eine gerechtere globale Wissensordnung ein.

Die EU-Kommissarin für die Informationsgesellschaft Viviane Reding sprach vor kurzem davon, dass wir in das Wikipedia-Zeitalter eingetreten seien. Information will frei sein. Seine Nutzer wollen, dass sie fehlerfrei, zuverlässig und einem gegebenen Zweck angemessen ist. Das neue Zeitalter von Wikipedia und Open Access in den Wissenschaften -- und mit ihm die WOS4 -- wirft alte Fragen neu auf: entsteht Qualität durch Kollektivität oder durch Wettbewerb, freie Kooperation unter Gleichen oder Expertokratie, Netzwerke oder Hierarchien?




Ökonomie und Arbeit

Gemeinfreies und Allmendwissen sind Voraussetzung für Innovation. So viel ist deutlich. Freie kreative Zusammenarbeit schafft nicht nur neue Formen künstlerischen Ausdrucks, sondern auch Wohlstand und damit Anreize für Autoren und Nutzer. Produktions- und Distributionsmittel für Information sind nicht länger Mangelware. Längst ist eine freie Kultur entstanden. Es braucht nicht länger das Nadelöhr der Vermittler und Verwerter. Zugleich erklären diese Vermittler und Verwerter, und mit ihnen die Politik, Kreativität zum entscheidenden Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Das legt nahe, dass dieser Wirtschaftsfaktor systematisch abgebaut, zu Produkten veredelt und verkauft werden soll.
„We define the creative industries as those industries which have their origin in individual creativity, skill and talent and which have a potential for wealth and job creation through the generation and exploitation of intellectual property."
(Department for Culture, Media and Sport der britischen Regierung, 2005)

Der heutige „Wettkampf der Kulturen" wird zwischen Creative Commons und Creative Industries ausgetragen. Auf der einen Seite soll mit Hilfe von Digitalem Restriktionsmanagement (DRM) Mangel erzeugt werden, um Markt zu ermöglichen. Aus individueller Kreativität wird „geistiges Eigentum". Aus Kunst wird „Content". Und der Kunde hat je nach individuellem Profil einen unterschiedlichen Preis zu zahlen, so lehrt es die Schulökonomie.

Auf der anderen Seite steht ein Wirtschaften aus dem Überfluss. Als „Allemend-basierte Peer Produktion" bezeichnet der Jurist Yochai Benkler das, was in der freien Software oder bei Wikipedia geschieht. Kultur ist Austausch und gegenseitige Inspiration.
„Universal access to all the world's information is technologically possible now; the missing piece is the legal infrastructure that will provide the incentives to make such access economically viable."
(Hal Varian, 2005)

Was technologisch möglich und in Tauschbörsen millionenfache Wirklichkeit ist, wird sich weder technologisch noch gesetzgeberisch zurückdrehen lassen. Damit wird die Frage zentral, wie sich mit freien Bits Geld verdienen lässt. Ist ein Markt für Kulturgüter ohne Urheberrechtsdurchsetzung denkbar? Nollywood zeigt, dass es geht. Die nigerianische Filmindustrie ist zur drittgrößten nach Hollywood und Bollywood gewachsen. Mehrwert durch physikalische Vertriebsstücke oder durch Dienstleistungen wie Aufführung und Auftragsprogrammierung, freiwillige oder gesetzliche Arrangements, in denen Nutzer kollektiv Autoren und Interpreten vergüten, und Arrangements, in denen Nutzer gemeinsam ein Werk vor der Erstveröffentlichung freikaufen, gehören zu den Modellen, die auf der WOS4 zur Diskussion gestellt werden. Der Frage, wie freie Innovationen und Profit in der Biotechnologie zusammengehen, ist ein eigenes Panel gewidmet.

Nach den mageren Jahren verspricht Web 2.0 den nächsten Boom. Handelt es sich bei der Ökonomisierung der sozialen Vernetzung und der Kooperation durch Flickr, Orkut, del.icio.us oder Fon um mehr als die altbekannte Vereinnahmung sozialer Bewegungen durch die Industrie?




Regeln und Werkzeuge der Freiheit

Freie Kultur beruht auf Technologien und wird umrahmt von staatlicher und privater Regulierung. Das Urheberrecht spielt wie nie zuvor eine zentrale Rolle für die künstlerischen und wirtschaftlichen Bedingungen des kreativen Schaffens. Seit der Jahrtausendwende ist es an die neuen digitalen Verhältnisse angepasst. Ist diese Anpassung gelungen? Wo behindert sie legitime Aktivitäten und Innovationen, wo unterstützt sie die Strukturen der freien Kultur? Die Ausweitung des urheberrechtlichen Schutzes wird in der Regel damit begründet, Kreativen und Konsumenten zu dienen. Doch die werden oft genug gar nicht gefragt. Die EU überprüft derzeit ihre Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft von 2001. Die WOS4 hat die Protagonisten eingeladen, um Rede und Antwort zu stehen.

Lizenzen wie die GPL und die von Creative Commons erzeugen mit den Mitteln des Urheberrechts die Allmende, die die kooperative Erstellung freier Kultur ermöglicht. Auch die GPL wird in diesem Jahr überarbeitet. Der Lizenzbaukasten von Creative Commons wird kritisch überprüft.

Das elektromagnetische Spektrum ist eine zentrale Ressource für die zunehmend mobile, funkgestützte Medienumwelt. 2007 steht es zur Neuregulierung an. Was sind die Optionen, welche sind einer freien Infrastruktur förderlich?

Die freie Software ist Pionier und Vorbild für alle Zweige der freien Kultur, die ihr folgten. Sie ist etabliert und weiterhin äußerst dynamisch. Was sind die nächsten Kapitel dieser Erfolgsgeschichte? Ist die Zukunft der freien Software weiblich, nicht-westlich und nutzer-getrieben? Oder verlagert sich der Fokus von der Software zu den Daten? Mit offenen Datenformaten verbindet sich die Erwartung, endlich Dokumente plattformübergreifend nutzen zu können. Offenen Schnittstellen zu Webdiensten erlauben Überlagerungen, Verbundinformationen und das Anzapfen des unaufhörlichen Stroms von anderen produzierter Blogeinträge, Fotos, Videos, Karten usw. Doch bleibt beim Trend zum fröhlichen Mash-up der Datenschutz auf der Strecke?

„Die Gedanken sind frei" erinnerte uns Eben Moglen auf der WOS3 an den Schlachtruf, der durch die Jahrhunderte hallt. Doch anders als die unserer Vorfahren sei unsere Bewegung, die Bewegung der freien Software nicht utopisch, sondern schafft Fakten. Basierend auf freien Produktions- und Distributionsmitteln entstehen freie Organisations- und Einkommensstrukturen, freie Kunst und Musik, freie Technologie und eine freie Gesellschaft. Die WOS4 trägt dazu bei, diese Freiheitsbewegung voranzubringen.




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