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Volker Grassmuck, mikro und Humboldt-Universität, Berlin



Meine Damen und Herren, liebe Freunde,

die freie Software hat im vergangenen Jahr einen atemberaubenden Zuwachs an Aufmerksamkeit, Anerkennung, "mind-share", wie das in der amerikanischen Debatte heißt, erfahren. Dinge sind geschehen, für die man, hätte man sie ein Jahr zuvor vorausgesagt, für verrückt erklärt worden wäre. Wenn, wie gestern geschehen, das Bundesministerium für Wirtschaft sich Experten aus der freien Software einlädt, um sich die Geschenkökonomie erläutern zu lassen, ist das schon mehr als erstaunlich.

Mit dem Trend zur Öffnung des Quelltextes von Software öffnet sich noch viel mehr. Landesgrenzen haben für kooperative, offene Projekte, die im Internet leben, ohnehin keine Bedeutung. Freie Software öffnet auch einen Blick auf eine neue Ordnung des Wissens: eine nämlich, die auf offenen Quellen des Wissens beruht und in der keine Patente und anderen Regularien des "geistigen Eigentums" dem Lernen, dem Austauschen und Weiterentwickeln von Wissen im Wege stehen.

Was die Wizards of OS gemeinsam mit Ihnen und Euch in den kommenden zwei Tagen durchführen möchten, ist ein Experiment in der Öffnung von Disziplinengrenzen. Einen Brückenschlag zwischen freier Software als soziale Bewegung und als Business, zwischen technischen und nicht-technischen Kulturen und zwischen Software und anderen Wissensformen. Eine weitere Grenze, die wir passierbar machen möchten, ist die zwischen Bühne und Saal.

Diese Konferenz ist, wie die Software, die sie thematisiert, aus einem Netzwerk des Wissens hervorgegangen. Weit über 100 Leute haben direkt dazu beigetragen. Die Werkzeuge waren Mailinglisten und Webseiten. Zahllose Bug-Reports und Patches sind in das Design eingegangen. Die Versioning- Tools sind allerdings noch verbesserungsfähig und auch eine wirkliche Offenheit will gelernt sein.

Alle Kontributoren zu würdigen würde einen Gutteil des Tages dauern, aber einige der Gruppen zumindest möchte ich nennen: die Berliner Linux User Group, Individual Network Berlin, der Chaos Computer Club Berlin, die Telepolis, das Seminar für Ästhetik der Humboldt Universität zu Berlin, die Deutsche UNIX User Group, die Vorbereitungsgruppe der Interface 5, das Computerspiele Museum Berlin, open-berlin, die Berliner NeXT User Group und die C-Base.

Ein unwahrscheinliches Element in dieser Aufzählung ist das Bundeswirtschaftsministerium. Doch auch von dort sind Impulse eingeflossen. Gestern fand hier unter demselben Dach das erste Fachgespräch des BMWi zur freien Software statt. Das Ministerium hat mit sehr offenen Ohren das Gespräch gesucht über die Organisationsstrukten der freien Software, ihre volkswirtschaftliche Bedeutung, Fragen der Sicherheit und Zuverlässigkeit und des Urheber- und Patentrechts. Die Grundlagen für weitere Gespräche sind gelegt. Die Atmosphäre, in der das Gespräch geführt wurde, stimmt mich zuversichtlich, daß auch unser Experiment, bei allen Risiken, ein produktives werden wird.

Besonders glücklich bin ich darüber, daß wir vom Haus der Kulturen der Welt eingeladen wurden, diese Konferenz hier zu veranstalten. Nicht nur, daß wir eine überaus freundliche, entgegenkommenden, warme Zusammenarbeit erfahren durften, auch symbolisch und programmatisch hätte es keinen besseren Ort für eine solche Grenzüberschreitung geben können.

Die Kongreßhalle wurde auf der Bruchlinie zwischen den USA und Deutschland errichtet. Nach dem Einsturz des Daches wurde sie als Haus der Kulturen der Welt wiedergeboren, das derzeit sein zehnjähriges Bestehen feiert. Das Ziel des Hauses ist es, den Dialog zwischen westlichen und nicht-westlichen Kulturen zu fördern. Die Denkweite des Haus der Kulturen ist so global wie Projekte der freien Software. Folgerichtig arbeitet es seit einiger Zeit verstärkt auch im und über das Netz. Zu nennen sind etwa das damals größte Internet-Cafe der Welt, das hier vor genau fünf Jahren anläßlich der Reichstagsverhüllung von der Internationalen Stadt Berlin eingerichtet wurde, sowie das andauernde Online-Forum "Cultural Exchange via Internet - Opportunities and Strategies".

Ebenso wie sich die Wissensordnung in ihren Grundfesten verschiebt, ist auch Berlin in einer Umbruchphase. Die Wizards hoffen, ihren kleinen Teil dazu beizutragen und die Richtung dieses Wandels mitzugestalten. Wird Berlin am Beginn des neuen Milleniums ein Ort des globalen, geistigen und materiellen Eigentums sein, wie es die Kathedralen von DaimlerChrysler und Sony auf dem Potsdamer Platz signalisieren, oder werden von Berlin Signale ausgehen, die ihren Ausgangspunkt im Basar der freien Software und der freien Projekten haben? Ohne dem Ergebnis der Konferenz vorausgreifen zu wollen, dürfte klar sein, welche Antwort die Wizards favorisieren.

May the Source be with you!


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