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Freie Software zwischen sozialer Bewegung und Business: Open Sourcing = billiges Outsourcing?
Notizen von Sebastian Luetgert

"Nichts ist unmöglich." (Toyota)

"Think different." (Apple)

Wenn das Konzept "Open Source" - die Freigabe von Software-Quellcodes und ihre massenhafte, dezentrale und firmenunabhängige Weiterentwicklung - in den letzen Monaten stetig steigende Aufmerksamkeit erfährt, so ist das nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, daß dieses Modell das Versprechen birgt, sich zum Grundbaustein einer neuen "digitalen Ökonomie" zu entwickeln. Überall dort, wo derzeit die radikale Neuorganisation von Arbeitsverhältnissen verhandelt wird, haben sich Begriffe wie gift economy und attention economy als zentrale keywords etabliert.

Derweil wird die Frage nach der aktuellen Position der freien Software "zwischen sozialer Bewegung und Business" immer schwerer zu beantworten. Denn diese beiden Pole haben sich seit dem massenhaften Aufkommen von Arbeits- und Lebensverhältnissen, in denen die Maßgaben der digitalen Ökonomie bereits verwirklicht sind, einander längst so weit angenähert, daß eine trennscharfe Unterscheidung fast unmöglich wird.

Gerade dieses tendenzielle Aufgehen weiter Teile des open source movements im Software-Markt ließ sich in der Diskussion zwar kaum theoretisch reflektieren, dafür aber umso genauer praktisch beobachten. Daß die "freien" Kooperativen die Vorteile ihrer "offenen" Modelle bereits in der Sprache der etablierten Firmen anpriesen, wurde bereits zu Beginn der Debatte in einer Wortmeldung aus dem Publikum festgestellt: Der gemeinsame Nenner sei: "Alles läuft gut, unser Produkt ist hervorragend, wir müssen nur so schnell wie möglich größer werden."

In der Tat hält die nostalgische Vorstellung von der Open Source Community als globalem gallischen Dorf, das tapfer und unbeirrbar der Macht der Software-Giganten widersteht, einem Vergleich mit der Realität nicht stand. Tatsächlich ist den Produzenten und Propagandisten von freier Software ihre Avantgarderolle bei der Modernisierung der Softwaregeschäfts längst in einem Maße bewußt, daß kaum jemand von ihnen noch einen Widerspruch zwischen der Idee quelloffener Software und den potentiellen Interessen des big business auszumachen vermag.

In Hinblick auf die Produktionsbedingungen freier Software konnten im Verlauf der Diskussion die letzten Illusionen von freieren Arbeitsbedingungen ausgeräumt werden. In der Praxis funktioniert die Entwicklung von offenem Sourcecode als unbezahlter Zweitjob: "Ich habe keinen Fernseher. Damit habe ich statistisch 28 Wochenstunden gespart. (Applaus) Und in dieser Zeit kann man viel guten Code schreiben." Ein deutscher LINUX-Anbieter gab daraufhin sogar einen kurzen Einblick in die soziale Struktur seiner Entwicklunglungsteams: "Von unseren 600 Entwicklern - Programmierer von 12 bis 55, aus allen Kontinenten - ist kein einziger arbeitslos. Schade, den hätten wir nämlich gerne angestellt."

Auch die Dezentralisierung der Programmierarbeit wird mittlerweile kaum noch als Demokratisierungsprozeß, vielmehr in zunehmendem Maße als ökonomische Notwendigkeit gefeiert. Dementsprechend wurde auch die Frage nach den internen Entscheidungstrukturen innerhalb der Gruppen freier Softwareentwickler beantwortet: "Selbstverständlich gibt es auch Streit und Zerwürfnisse in den Teams. Aber das ist gut so, ist sogar gewünscht. Denn das verhindert Mammutprogramme und beschleunigt die Entwicklung."

Dennoch sind im Open Source-Bereich bereits handfeste Hierarchien entstanden, an deren Spitzen sich neue Angestelltenmilieus herausgebildet haben. Denn fast alle Initiativen, die offene Software frei zur Verfügung stellen, haben Distribution, Service und Produktbetreuung als vielversprechende bussiness opportunities erkannt: "Wer nicht, wie LINUX, in PR investiert, darf sich über sein baldiges Verschwinden nicht wundern." Wer hingegen "ein freies Softwareprojekt erfolgreich gemanagt hat, der braucht sich um einen Job keine Sorgen mehr zu machen."

Und so dominierten gegen Ende der Debatte tatsächlich Anwenderfragen und praktische Kundenberatung die Diskussion. Heftige Gegenrede löste allein die Wortmeldung eines Kongreßbesuchers aus, der darauf insistierte, der Grundgedanke von Open Source stelle auch weiterhin eine Alternative zur bestehenden Ordnung der freier Marktwirtschaft dar. "Der Unterschied zwischen Open Source und Kommunismus", so eine Stimme aus dem Publikum, "liegt darin, daß der Kommunismus den Menschen Ruhm und Ehre verweigert hat" und so an einem allgemeinen Motivationsmangel zugrunde gegangen ist, der in der attention economy völlig undenkbar ist.

Die Synthese dieser unversöhnlichen Positionen blieb dem Podium vorbehalten und wurde dort vom wohl profiliertesten Teilnehmer aus den Neuen Bundesländern formuliert: "Wer wie ich in der DDR aufgewachsen ist, weiß, daß man zum Kommunismus nur in kleinen Schritten gelangt. Im Moment ist die Menschheit einfach noch nicht so weit". Frank Gessner ist Vice President der Intershop GmbH aus Jena, einer Softwarefirma mit 200 Angestellten, die als Deutschlands führender Anbieter von e-Commerce-Lösungen gilt.


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