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 WOS 2 / Proceedings / Panels / Öffentliches Wissen / Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk / Diskussion / skript
Volker Grassmuck: Ich denke es gibt eine Reihe Themenkomplexe, die wir besprechen werden. Ich möchte anknüpfen an eine Vorstellung, die für den ganzen Themenkomplex der Wizards of OS sehr grundlegend ist, nämlich eine Symmetriesierung der Fähigkeiten des Lesens und Schreibens. Will sagen, Handschrift kann jeder nicht nur lesen, sondern auch schreiben, das ist natürlich eine symmetrische Kompetenz. Man wird Lesen und Schreiben in der Regel zusammen lernen. Bei anderen, bei technischen Medienformaten war bislang vorausgesetzt, das man Zugang hatte einerseits zu Produktionsmitteln, die Investitionsgüter waren, also so was wie ein Rundfunkstudio für Aufnahmen, für Aufzeichnungen, für Schnitt, und andererseits zu Distributionsmitteln, Sender. Im Internet kehrt die natürliche Symmetrie von Lesen und Schreiben zurück. Im Web kann ich auf "Show Source" klicken und den HTML-Code der Seite studieren und daraus zu lernen und Dinge übernehmen für die eigenen Webseiten. Netscape, war nicht nur ein Browser, sondern kam eben auch mit einem Editor. Das war ein selbstverständliches Designkriterium. Die noch früheren Formate im Internet, also Mail oder Newsgroups oder andere Dinge, waren ohnehin immer symmetrisch, wenn man überhaupt in diesen Raum eingetreten ist, dann konnte man dort lesen und gleichzeitig auch schreiben, sich äußern, antworten auf das, was man dort vorgefunden hat. Ein Beispiel aus dem eher klassischen Medienbereich: Typographie hat bis in die achtziger Jahre hinein große Satzmaschinen vorausgesetzt. Auch das Investitionsgüter, teure Anlagen. Mit dem PC und entsprechender Desktoppublishing-Software waren im wesentlichen die gleichen Möglichkeiten jetzt auf dem heimischen Schreibtisch verfügbar. Ich möchte also gerne in die Runde fragen, ob eine solche Symmetriesierung von Euch überhaupt als notwendig angesehen wird und natürlich als möglich, beispielsweise mit Digitalkameras, die ja durchaus im Konsumentenbereich bereits in der Lage sind sendefähige Qualität aufzuzeichnen, mit Schnittprogrammen auf PCs, die dann nicht ganz normale PCs heute sind, sondern schon relativ hochgerüstete Geräte, aber immerhin: Es ist möglich auf einem PC Material zu schneiden. Und dann die Frage, -- Frank hatte über den Rundfunk gesprochen, also terrestrische Ausstrahlung von Sendungen, -- mit dem Internet gibt es die Möglichkeit einer Distribution an den Anstalten vorbei, von Privat zu Privat: Wie würdet ihr da die Wünschbarkeiten und die Möglichkeiten sehen?


Frank Fremerey: Das ist ja ein interessanter Aspekt, den du da ansprichst. Ich habe ja meine Präferenzen im Vortrag doch relativ klar gemacht. Ich sehe das schon so, dass ich eher mir einen Zugang zu den Verteilermöglichkeiten wünsche, der vielleicht so ähnlich ist wie: Ich kann meine Webseite machen, ich kann meine Emails schreiben, ich kann in Listen teilnehmen usw. Andererseits ist es natürlich so, -- und da kommen wir auf diese philosophischen Fragen, die Hermann Rotermund aufgeworfen hat, -- dass man das doch sehr unterschiedlich sehen kann. Im Endeffekt je mehr Zugangsmöglichkeiten zum Schreibrecht oder Leserecht man auf den verschiedenen Kanälen den Leuten einräumt, desto mehr Kompetenz setzt man bei den Leuten voraus. Das heißt, es gibt zu jedem Zeitpunkt eine bestimmte Menge von Dokumenten im Internet, irgendwas im Bereich von Milliarden, und ob ich, wenn ich mich für was interessiere, tatsächlich das Dokument finde, das ich brauche, das hängt nicht von der Technik ab. Ein Gedächtnis für die Technik oder ein Vergessen für die Technik zu fordern, halte ich für völlig überflüssig, sondern es hängt ausschließlich von der Kompetenz desjenigen ab, der vor dem Bildschirm sitzt und weiß, nach was er suchen muss, in welcher Kombination, denn dann kann er zu dem gelangen, was vorhanden ist. Natürlich ist ein Großteil des vorhandenen Quatsch, aber gut, ich meine es gibt auch Leute, die irgendwie im Urlaub Dias aufnehmen, die nicht fotografieren können, da gibt es mit Sicherheit die meisten, die das dann den Nachbarn zumuten usw. Man muss sich das wirklich nicht angucken. Man kann natürlich sagen: O.k. es ist Stromverschwendung, wenn man nicht eine Qualifikation vor die Sendemöglichkeit setzt. Zum Schluss, diese Filterfunktionen erfüllen ja die öffentlich-rechtlichen Anstalten in ihrem Kontext ganz gut. Da kann ja auch nicht jeder auf dem Sender irgendwelchen Mist erzählen, sondern da wird schon eben vorgefiltert und geguckt, dass das einigermaßen Hand und Fuß hat.


Volker Grassmuck: Hermann Rotermund, die alte Vision von Brecht: Jeder ein Sender. Stromverschwendung?


Hermann Rotermund: Mit Sicherheit ja, wenn es darum geht, die Urlaubsdias im Web auf der gleichen Fläche anzubieten wie Material, das professionell nach ästhetisch und inhaltlich entwickelten, auch durch Ausbildung gestützten Standards, ... also, ich meine es ist für Nutzer sicherlich jetzt schon vielfach unerträglich sich auf Suchmaschinen, zu deren Benutzung man sich allmählich ja immer durch Selbstqualifikation weiter ausbildet, in dem man sich die absurdesten Zusatzwörter ausdenkt, um den Junk auszufiltern. Das ist ein echtes Problem der Filterung. Ich finde, dass diese Frage mit Rundfunk nichts zu tun hat. Der Umgang mit digitalen Medien, also dass man bi-direktional dort etwas tun kann, das ist ja tatsächlich jedem unbenommen. Jeder kann zum Beispiel seinen eigenen kleinen Radiosender aufmachen. Es gibt sogar gratis Möglichkeiten, wo man, ich glaube, bis zu 365 gleichzeitige Empfänger bedienen kann. Man kann sich da anmelden und sagen, ich mache jeden Freitag Abend vier Stunden meine schwarze Musik, und dann macht man die dort eben und maximal 365 Leute können parallel zuhören. Das ist garantiert, mehr als in den meisten Fällen es wollen. Was anderes ist, was eben tatsächlich mit dem Rundfunk passiert unter den Bedingungen dieser interaktiven, digitalen Medien. Das ist für mich eine Frage, wie professionelle Standards, professionell entwickelte Formate mit den interaktiven Möglichkeiten, die Benutzer von digitalen Medien im Moment haben und demnächst noch sehr viel mehr haben werden, also wenn das Kabel digitalisiert ist, dann gibt es bei jedem Kabel eben auch eine Rückkanalmöglichkeit und damit kann man etwas machen, abgesehen von den institutionellen und kommerziellen usw. Punkten. Man kann jedenfalls technisch etwas machen und man kann es beschränken auf pures Auswählen aus einem Warenangebot, aber man kann daraus auch interventive Formate machen oder interventive Möglichkeiten des tatsächlichen Zurückgebens von Informationen, von persönlichen Standpunkten.


Volker Grassmuck: Zu der Frage der Filterung hatten wir gestern Abend hier ein Panel unter dem Titel "P2P Journalism", das, denke ich, ganz gut die Vorstellung einer professionellen Redaktion, die eine Auswahl trifft aus den Materialien, die reinkommen und vorselektiert, was dann tatsächlich über einen bestimmten Kanal geht, angeknackst, wenn nicht widerlegt hat. Es ist möglich, auch diese Filterfunktion an eine Community zu delegieren. Es ist möglich, eine kollektive Intelligenz einzuschalten um aus den Materialien, die jeder in einem bestimmten Format einstellen kann, auszufiltern, was als besonders wertvoll erachtet wird -- immer absolut relativ. Es geht um eine Akkumulation von individuellen Entscheidungen, die auch sehr stark abweichen können, aber dann in der Summe eine erstaunliche Qualität des Endergebnisses, dessen, was dann auf einer öffentlichen Seite sichtbar ist, bewerkstelligen kann. Ist es nicht ein Teil dessen, was wir vorher besprochen haben, dass wir im Kopf ein Redaktionsmodell haben, bestimmte professionelle Ansprüche, bestimmte Standards, die wir jetzt anlegen an ein Medium, das möglicherweise viel größere Freiheiten erlaubt, ohne allerdings dazu zu führen, dass man in einem Wust von unsortierter, ungefilterter Information als Konsument untergeht?


Hermann Rotermund: Kurz dazu. Das ist in meinen Augen eine Art kollektiv erarbeitetes Museumsprojekt. Das finde ich ganz prima. Das findet eben in diesem Medium statt und hat mit unserer Eingangsfragestellung, mit Rundfunk, in meinen Augen zunächst mal gar nichts zu tun. Man müsste bei Rundfunk fragen: Wie können kollektiv verarbeitete Programmformate, wie es so schön heißt, also das heißt, Sendungen, die als solche erkennbar sind oder Angebotsformen, da schwingt ja immer noch mit, das alle gleichzeitig angeschlossen sind, während gesendet wird, also Synchronizität herrscht zwischen Senden und Empfangen, -- wenn es um asynchrone oder diskrete Möglichkeiten geht, also man nimmt in Empfang, was irgendwo gespeichert ist und jederzeit entgegen genommen werden kann, dann sieht das schon anders aus. Solche Formate werden beispielsweise von öffentlich-rechtlichen Anstalten im Moment gar nicht bedient werden können, weil dazu gar kein Auftrag besteht, weil Rundfunk in Deutschland auch gesetzlich ganz anders definiert ist. Rundfunk ist eben das Gleichzeitige. Ich habe die Gesetzesformulierung leider nicht dabei, die ist zum Teil inzwischen zum Piepen, wenn man an die Möglichkeiten der digitalen Medien denkt, aber es ist eben mittels elektromagnetischer Wellen das gleichzeitige Empfangen von Sendungen. Für etwas anderes sind die Veranstalter nicht da und werden sie auch nicht bezahlt.


Frank Fremerey: Das finde ich eigentlich auch ganz vernünftig, das hatte ich am Anfang angedeutet. Ich meine halt nur, dass die Veranstalter, die die öffentlichen Ressourcen Geld und Bandbreite benutzen, damit verantwortlich umgehen sollten, in dem Sinne, dass sie davon möglichst wenig verbrauchen. Wenn man davon ausgeht, dass es mit der heutigen Technik bei gleicher Bildqualität, die für DVB-T projektiert ist, möglich ist, achtzig Programme auszustrahlen, dann macht es keinen Sinn, eine Technik einzuführen, die künstlich, bei gleicher Menge elektromagnetischen Spektrums, diese Verbreitungsmöglichkeiten auf möglicherweise Zwanzig beschränkt. Denn man könnte ja trotzdem diese zehn digitalen, bundesweiten Programme ausstrahlen, die die Öffentlich-Rechtlichen gerne ausstrahlen wollen und hätte dann aber noch siebzig Kanäle á 2,3 Megabyte Datenrate übrig.


Hermann Rotermund: Also darf ich kurz zu den DVB-T und den DAB Szenarien, also den Szenarien der Umwidmung der im Moment für terrestrischen, analogen Rundfunk benutzten Bandbreiten, etwas sagen? Du hattest vorher gesagt, DVB-T sei noch nicht praxistauglich. Also, es ist in Großbritannien, in Schweden, in allen skandinavischen Ländern und einigen anderen seit einigen Jahren auch für den Massenmarkt, für Hausantennen im Betrieb. Es hat dort den analogen Fernsehempfang bereits ersetzt und ist so ein Standardmodell. Es wird nicht interaktiv benutzt. Das beginnt erst, dass man an eine Setup-Box oder einen Receiver, also einen integrierten Fernseher, dass da ein Modem drin ist, dass man das anschließen kann und Interaktivität dort einführt. Also, praxistauglich für die Ablösung des analogen Fernsehen wie es ist, ist es.


Frank Fremerey: Großbritannien ist natürlich ein schönes Beispiel. Die haben rundherum das Meer. Die haben weniger Probleme bei der internationalen Frequenzenkoordination erstens, und zweitens geht es um den Empfang mit Hausantennen, wofür wesentlich niedrigere Feldstärken nötig sind. Und es kommt dazu, dass der BBC verboten ist, über Satellit Programme abzustrahlen.


Hermann Rotermund: O.k., aber ich finde, wir sollten uns vielleicht nicht zur sehr in Details verlieren. Deine Forderung ist, Nutzung dieser Bandbreite für eine sinnvollere Konfiguration. Darüber kann man ja sicher diskutieren. Also, ich möchte dazu im Grunde hier nichts beitragen. Zur DAB vielleicht noch, also zu dem sogenannten Digitalradio. Das ist ein Standard, der seit Anfang der achtziger Jahre fix und fertig ist, also seit 1983 komplett standardisiert. Und witzigerweise haben wir jetzt 18 Jahre später in Deutschland, ich weiß nicht, zwei oder drei tausend Empfänger. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sind zum Teil seit 1998/99 im sogenannten Regelbetrieb, in dem sie dort alle Radiowellen, die sie ausstrahlen eben über DAB abstrahlen und niemand hört es. Die versprochenen, erweiterten Möglichkeiten von DAB, also dass man DAB auch für Internet, für alle möglichen Services benutzen kann, sind inzwischen längst durch das Internet und vor allem durch die Mobilkommunikation über Handy ersetzt und überboten worden. Dafür braucht man DAB jetzt schon lange nicht mehr. Übrig bleibt letztlich, und da kann man sich im Moment noch am Kopfe kratzen, da gibt es sicherlich verschiedene technische Lösungsmodelle, man braucht DAB oder so etwas wie DAB nur für den mobilen Empfang. Also man fragt sich, wenn das analoge Radio dann mal abstirbt, wie hört man im Auto Radio? Und da hat man im Moment kein erprobtes Modell außer DAB. Es ist die Frage, ob DAB insgesamt eine Ablösetechnik für UKW ist. Ich glaube nicht.


Frank Fremerey: Das ist natürlich auch wieder ein sehr... Ich habe jetzt keine Lust, mich über die Technik zu streiten, aber es ist natürlich auch wieder eine sehr gefärbte Darstellung. De facto ist es so, dass längst bei den öffentlich-rechtlichen Sendern das Geld auf den Kontos liegt, beziehungsweise der Regelbetrieb tatsächlich aufgenommen worden ist, wo man sich dazu nicht weigert. Man hat eine schöne Konstruktion gemacht. Man hat in bestimmten Ländern zehn Prozent Privatfunker hereingeholt, für die das System zu teuer ist und die es blockieren. Und dann sagen die Öffentlich-Rechtlichen, das sind die Privaten die dagegen sind. Naja, es gibt da so ein paar...


Hermann Rotermund: Umgekehrt gibt es ein oder zwei Landesmedienanstalten, die DAB-Geld, das eigentlich den Öffentlich-Rechtlichen zur Verfügung steht, mit deren Zustimmung, privaten Radiosendern zur Verfügung stellen, damit die eine Fülle von DAB erzeugen können, damit die Entwicklung überhaupt weitergeht. Da gibt es eine Umverteilung von Gebührengeldern an private Radiosender, damit die DAB machen, damit aus dieser Ruine endlich was wird, aber da sie schon als Ruine gegründet wurde, glaube ich nicht, dass daraus was wird.


Frank Fremerey: Also O.k. wie gesagt, ich will mich darüber nicht streiten, aber ich würde gerne noch mal auf einen Punkt aus dem Vortrag zurückkommen, der sehr grundsätzlich ist auch für diese Konferenz. Du hast vorhin gesagt, dass Informationsflut die Informationen entwertet, und daran glaube ich nicht. Sondern man kann beliebig viele Informationen haben. Wir haben sie ja auch schon. Wenn man sich zum Beispiel anguckt wie viele Bibliotheken es gibt, da kann man das Internet noch weglassen, wie viele Fernsehsender man empfangen kann, wie viele Radiosender man empfangen kann, die sind ja schon da. Das Problem ist, dass die Leute nicht geschult sind sich das rauszupicken, was für sie nützlich ist. Und dann will ich noch auf diese eine philosophische Frage zurückkommen mit dem Vergessen. Du hast behauptet, dass Vergessen eine ganz wichtige Rolle im biologischen System Mensch spielt, nein.


Hermann Rotmund: Für das Erinnern spielt Vergessen eine wesentliche Rolle. Erinnerungsarbeit ist Vergessensarbeit. Ich sortiere Sachen weg. Das, was wir jeder morgen noch über unsere insgesamt einstündigen Redebeiträge wissen, kann man dann maximal in fünf Minuten zusammenfassen. Der Rest ist weggefiltert, Gott sei Dank.


Frank Fremerey: Es ist natürlich so, dass es im biologischen System 'Mensch' Möglichkeiten gibt das zu verarbeiten, das sozusagen zu komprimieren und nutzbar zu machen. Das Nervensystem strukturiert sich dann um, aber die Erinnerung geht trotzdem nicht verloren. Was die Menschen machen anstelle dessen, ist eine mehr oder weniger gute Strategie zur Aktualisierung und Verwertung von Wissen, und dazu können sie ausgebildet werden. Was meiner Ansicht nach fehlt, auch im Zusammenhang mit dem Rundfunk und nicht nur um zukünftige Leute, die Rundfunk machen zu bekommen, sondern um auch kompetente Hörer zu bekommen, die mit der ganzen Informationsflut umgehen, wäre eine bessere Ausbildung. Medienkompetenz, das fehlt. Und diese komischen Projekte, die ich mir da teilweise angucke, was da in den Schulen gemacht wird oder in Marl, gut, brauche ich nicht weiter zu kommentieren.


Hermann Rotermund: Also, ich habe ein schönes Beispiel, das ich gerne in dem Zusammenhang bringen möchte. Ted Nelson, der Promotor dieses berühmten Xanadu-Projektes, der auch den Begriff 'Hypertext', soweit ich weiß um 1965...


Frank Fremerey: 1947 war der erfunden, ...


Hermann Rotermund: Wie bitte?


Frank Fremerey: 1947 war er zu erst erwähnt.


Hermann Rotermund: Gut, also ich spreche von Ted Nelson. Der hat zeitweilig, wenn ihn jemand in den letzten Jahren mal getroffen hat, in den letzten zwei, drei Jahren immer eine Kamera laufen gehabt, zum Teil eben auf dem Kopf montiert. Er hat in der Nähe von Los Angeles mehrere Lagerhallen gemietet, wo er diese Videokassetten, die er permanent aufnimmt, um sozusagen sein Leben oder den wachen Teil des Lebens eins zu eins abzubilden, aufzubewahren für einen Zeitpunkt, indem es möglich ist, diese Kassetten alle in einem automatisierten Prozess einzusaugen und dann verfügbar zu machen. So. Diese eins zu eins Kopie des Lebens ist etwas, was mir richtiggehend Angst macht. Die gleiche Angst habe ich schon, wenn ich eine Suchmaschine betätige und sehe 93.000 Fundstellen zu einem Wort, was ich dussligerweise ohne logische Verknüpfung da eingegeben habe. Also, ich gucke sowieso nur die ersten zwanzig durch und hoffe, dass unter den anderen 92.980 nicht genau das ist, was ich eigentlich suche. Das werde ich aber nie herausbekommen. Das ist mein Problem. Also, die Information hat für mich dann keinen Wert mehr. Diese unendliche Menge von Information hat für mich deshalb keinen Wert mehr, weil die Zeit, die ich benötige, um sie mir anzueignen, es nicht mehr lohnt, sie mir anzueignen. Also, dann gehe ich lieber noch in eine traditionelle Bibliothek und hole es mir da. Es ist eine amerikanische Universität, ich habe jetzt leider vergessen welche, sie ist jetzt neu gegründet worden, hat beschlossen auf eine Bibliothek zu verzichten, sondern statt dessen eben so ein Computernetz einzurichten, um allen Studenten, allen Teilnehmern an diesem Campus alle Informationen digital zur Verfügung zu stellen, die man eben bekommen kann. Also, das halte ich für, sagen wir mal, sehr gewagt, unter dem Aspekt, dass wir schon eine Kultur hätten, die nicht markt- und macht-gestützt ist durch die Regeln der typographischen Kultur, wie ich sie vorhin beschrieben habe. Wenn es so wäre, dass wir in dieser Kultur nicht mehr lebten, dann wäre das das Wagnis, das man eingehen muss. Da es aber anders ist, finde ich diese Vorstellung ziemlich wahnsinnig es so zu machen.


Volker Grassmuck: Da möchte ich doch auch noch mal intervenieren. Also, der Satz, "weil Informationen zugänglich ist, ist sie nichts mehr wert," hat mich auch durchaus provoziert. Erinnern und Vergessen ist ein Prozess. Worum es ja hier geht, ist Speicherung. Das ist noch was anderes als Erinnern. Natürlich ist es dann ein Problem, die Dinge wiederzufinden, wenn man sehr viel gespeichert hat. Das ist aber ein sekundäres Problem, würde ich sagen. Das Wichtigste ist erst einmal, dass man etwas gespeichert hat, dass man die Möglichkeit hätte darauf zuzugreifen. Denn, wenn es nicht gespeichert ist, dann kann man die besten Ordnungssysteme haben, die besten Retrieval-Systeme, man wird es einfach nicht wiederfinden. Das Vergessen, das gezielte Vergessen, was eben kein Vergessen aus dem Gedächtnis ist, sondern ein Löschen der Speicher, hat es ja in der Rundfunkgeschichte auch immer wieder gegeben als eine durchaus auch politische Maßnahme. Da werden dann auch immer wieder Ressourcengründe vorgeschoben. Man sagt, wir haben kein Platz mehr im Archiv. Wir können jetzt nicht ein neues Gebäude dazu mieten, um weiter zu archivieren. Also müssen wir das bestehende Archiv ausmisten und da Platz machen, aber ganz offensichtlich waren da ja auch immer wieder politische Gründe im Spiel, wo ein neuer Intendant beispielsweise das Material aus der Zeit seines Vorgängers vernichtet hat...


Hermann Rotermund: Wenn ich das kurz präzisieren darf. Also es hat in der ARD-Geschichte Fälle gegeben, dass ein neuer Hauptabteilungsleiter Musik, der gleichzeitig Dirigent des Rundfunksinfonieorchesters ist, die Einspielungen seines Vorgängers hat löschen lassen, um selber eben derjenige zu sein, dessen Einspielungen von Mahler, von Mozart oder so eben die einzigen sind, die man im Archiv findet und die im übrigen dann auch weitergegeben werden an die Schwesteranstalten in der ARD. Er wollte nicht, dass ein anderer ARD Sender jetzt die Mahler Interpretation seines Vorgängers spielte. Das sage ich ohne Kommentar. Das ist in meinen Augen also jetzt nicht gerade politisch. Das ist einfach nur Kulturkill.


Der politische Aspekt, da gibt es auch ein Beispiel, also Heinz Schwitzge, Hörspielpapst der fünfziger Jahre, seit 1953 war er glaube ich der sogenannte Hörspieldramaturg des NDR in Hamburg. Der hat eine sehr auf Innerlichkeit setzende Hörspielauffassung gehabt, und der hat gezielt die eher sozial-dokumentarisch und also eher auf der Erschütterung des Kriegserlebnisses und des Faschismuserlebnisses basierenden Hörspielproduktionen zwischen 1945 und seinem Amtseintritts löschen lassen, weil er sozusagen eine lupenreine Hörspielgeschichte, die auch seiner Theorie gemäß ist, von Anfang der dreißiger Jahre bis in die Fünfziger rein fortschreiben wollte, was er dann ja auch theoretisch getan hat in Büchern, die dann in den Sechzigern erschienen sind. Und also das ist in meinen Augen tatsächlich auch politisch und auch kriminell.


Frank Fremerey: Und da sehe ich eben genau auch einen Punkt, dass man eben ein digitales Archiv vor solchen Aktivitäten schützen muss. Eine wesentliche Idee ist ja auch zum Beispiel, früher musste man eben, wenn man eine große Produktion machte, viele Archivsachen sich holen, die waren dann auf unterschiedlichen Medien gespeichert usw. Bei diesen digitalen Archiven wird es in Zukunft so sein, dass man immer mit Kopien arbeitet. Und wenn, außer dem Datenbankadministrator, da niemand Zugriffsrechte hat, dann können solche Löschungen auch nicht mehr stattfinden, weil die auf Mirror-Servern usw. irgendwo noch ist oder weil derjenige einfach kein Schreibrecht hat. Da muss es aber eine gesetzliche Regelung für geben. Bisher ist ja die... findest du das nicht?


Hermann Rotermund: Mit einmal wird nach dem Gesetzgeber gerufen zur Organisation des Wissens im Netz. Also, darüber schmunzle ich.


Frank Fremerey: Nein, nein, nein nicht zur Organisation des Wissens im Netz.


Hermann Rotermund: Das hängt ja mit der Organisation selbst zusammen, weil es muss ja auch gewährleistet sein, dass die Kopie eben eins zu eins mit dem Original übereinstimmt. Und was alles auf diesen Proxy- und Spiegel-Servern herumschwebt, muss ja auch sozusagen authentisch als Kopie bestätigt sein, und das ist das Problem, wie man das regelt. Technisch gibt es da sicherlich Verfahren dafür, aber da geht es dann um Kontrolle.


Frank Fremerey: Und die kommen zur Anwendung. Aber das ist ja gerade das Problem, dass das öffentlich-rechtliche System so ein Machtapparat ist, der auf den Verteilungsressourcen sitzt, und der auch auf den Archiven sitzt und der bis zu einem gewissen Grade auch auf Grund der Möglichkeit entsprechend Politiker, die unliebsam sind, durch entsprechende Beiträge zu diskreditieren, was ja durchaus auch vorkommt, um es mal vorsichtig zu sagen, diese Macht immer weiter zu verfestigen versucht mit technischen Möglichkeiten und mit Einflussnahme auf den Gesetzgeber. Und ich bin der Meinung, wie haben es da mit öffentlichen Ressourcen, mit öffentlichem Gut zu tun, also muss es öffentlich diskutiert werden und das Ergebnis kann dann eben eine Gesetzgebung sein. Aber es muss erst einmal eine öffentliche Diskussion zustande kommen. Und ich sehe, dass diese öffentliche Diskussion nicht im Sinne des Machtapparats öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist, und dass sie deshalb im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Sicherheit nicht stattfindet. Und der Privatrundfunk, für den ist das sowieso zu esoterisch, so was zu diskutieren, da verkauft man keine Werbung mit.


Hermann Rotermund: Also, ich habe eben bemerkt, dass es so einen sehr schnellen Wechsel gibt von einem Satz zum anderen, von Erscheinungsformen im Internet, also von dem was da wünschbar ist, dass man von allem Weltwissen Kopien zieht und dass es Originalstandorte gibt, die man vielleicht auch identifizieren kann, und dann zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dem Umgang mit Archiven. Also, dazu habe ich ja schon gesagt, es gibt keinen gesetzlichen Auftrag, also öffentlich-rechtlich heißt ja, dass die Landesparlamente und die Parteimehrheiten in den Landesparlamenten letztlich bestimmen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk macht. Der wird dann, nachdem die notwendigen Kosten dafür ermittelt worden sind, eben beauftragt das zu tun. Wenn es diesen Auftrag nicht gibt, tut er es nicht.


Es gibt ja Projekte, also wie z.B. die deutsche Mediathek, die jetzt hier in Berlin nach langen, langen 14 Jahren Geburtswehen gegründet wird, definitiv nun irgendwann im nächsten Jahr. Das wird so eine Art Programmmuseum, die bekommt eben einen kleinen Anteile aber von Null Komma irgendwas Prozent der kulturell herausragenden Produktionen der laufenden Jahre, um als eine Art Programmmuseum öffentlich zugänglich zu sein. Ich meine, ich will jetzt nicht frech werden und sagen, mehr ist auch nicht nötig. Natürlich ist mehr nötig, aber es ist doch die Frage, ob der komplette öffentliche Zugang zu allen Produktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks irgendeinen Sinn hat, weil die Ermöglichung des Zugriffs gigantische Kosten, in der Umformatierung beispielsweise, um das im Netz zur Verfügung zu halten, erfordern würde, die wahrscheinlich durch den Zugriff in keiner Weise irgendwie gerechtfertigt würden. Es wird ja aufbewahrt und es gibt einen Zugang. Also jeder, der eine Diplomarbeit schreibt oder so, der wird vom DRA unterstützt und bekommt alle Quellen, die erschlossen sind. Der Gag ist ja, dass in vielen Rundfunkanstalten, gerade was den Hörfunk angeht, die Archive nicht erschlossen sind. Es gibt ja keinen Auftrag mit Archiven anders umzugehen, als dahin einfach das zu legen, was man aktuell nicht mehr braucht. Also werden da Bänder abgelegt, die zum Teil eben nicht katalogisiert sind. Kein Mensch weiß, was drauf ist. Da könnte ich x Beispiele erzählen, was man da so alles finden kann, auch heute noch, von dem man gar nicht weiß, dass es existiert. Das ist ein Problem. Da bin ich selbstverständlich dafür, dass man da Geld hin umlenkt, aus welchen Quellen auch immer, um einen anderen Umgang im Prinzip mit der Sicherung dieses Kulturguts zu erreichen. Die Verteilung ist dann eine Sache, die sozusagen zehn Jahre später ganz hinten ansteht.


Volker Grassmuck: Ich möchte die Diskussion gerne eröffnen und Sie und Euch gerne mit einbeziehen. Ich denke, die Grundsatzaussage, dass es hier um öffentliche Verfahren geht, dass es um unser aller Rundfunkgebühren geht, und dass es deshalb einer öffentlichen Diskussion bedarf, darum, was mit diesen Archiven passiert, in welche Richtung der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich weiter entwickelt, dem ist nur vehementestens zuzustimmen. Das würde natürlich auch voraussetzen, dass man solche Mechanismen zunächst mal erfährt. Und eine kurze Anmerkung noch, ein Link auf ein Panel, das heute nachmittag stattfinden wird: Eine technische Möglichkeit, um die Authentizität von Dateien zu gewährleisten, sind digitale Signaturen, und damit wäre es möglich, auch auf Mirror-Servern festzustellen, handelt es sich dabei um ein gegengezeichnetes Original oder handelt es sich um eine Manipulation, die nur auf den ersten Blick so aussieht, aber vielleicht noch ein paar Extras eingebaut hat. Aber ich möchte gerne Fragen einladen, Stellungnahmen natürlich auch, Provokationen.


Thomas Taler: Also erstens denke ich, immer diesen Rückbezug auf die Finanzierung und dass man sagt, das sind öffentliche Gebühren. Ich glaube, es sollte eigentlich schon so was geben, wie einen, Volker, du hast das glaube ich genannt: informationellen Grundauftrag. Also, ich denke mir, in einem Staat haben auch die Staatsbürger gewisse Informationsrechte. Sie sollen erfahren, was die Politiker sagen. Ich denke mir, auch das ist eine Rolle vom öffentlichen Rundfunk. Und das muss man jetzt gar nicht auf das Gebühren-Zahlen beziehen, es gibt auch Staaten wo das nicht so ist. Und dann denke ich mir, gehört ebenfalls zu diesem informationellen Grundauftrag noch mehr dazu, und das kann man auch pragmatischer sehen. Ich muss jetzt nicht jede einzelne Sendung im Netz verfügbar haben, aber ich kann sagen, zum Beispiel die Tagesschau, die immer noch so was wie ein Standard ist, und die auch, wenn ich das wo anders auch finde, aber ich kann sagen, viele Menschen haben diese gesehen und dadurch hat sie schon Wichtigkeit. Und dann ist es nicht einzusehen, dass ich private Zeitungen habe, die alle Artikel im Netz verfügbar haben und andrerseits kann ich die Tagesschau nicht im Netz erschließen.


Hermann Rotermund: Das stimmt nicht. Die Tagesschau ist ja seit 1996 komplett online, in Real-Audio...


Thomas Taler: O.k., dann habe ich das nicht gewusst, dann ist das eh gut.


Frank Fremerey: Aber das Interessante ist ja, da könnten wir vielleicht noch mal kurz drauf eingehen, also dass aus dieser Tatsache, dass die Tagesschau im Netz verfügbar ist und diverse andere Programme, die öffentlich-rechtlichen Sender nun eine informationelle Grundversorgung für das Internet konstruieren wollen und in Zukunft von jedem PC auch Rundfunkgebühren haben wollen und zwar nicht nur, wenn er eine Fernseh- oder Radiokarte hat. Und diese informationelle Grundversorgung im Internet, die halte ich doch für relativ absurd, Herr Rotermund.


Hermann Rotermund: Das ist so ein komisches Thema. Ich meine, ich gehöre nicht auf die Lohnliste irgendeines Senders, aber in dem Fall da geht es um die wenigen PCs mit Radio und Fernsehkarten, die an Orten stehen, also in Haushalten und Büros, in denen es Radio- und Fernsehempfang nicht mit anderen Geräten gibt, also um eine Handvoll von Privathaushalten und vielleicht um einige tausend Büros. Im Grunde ist diese Diskussion immer schon lächerlich gewesen. Ich finde auch den Vorschlag selber nicht besonders berühmt und hoffe, dass er in Vergessenheit gerät. Der soll 2003 noch mal wieder hoch gekocht werden, bis dahin ist er zurückgestellt worden. Der geht von einer Konstruktion aus, dass also Internet ein Empfangsweg für Radio und Fernsehen ist, ohne das sich Radio und Fernsehen und sonst die mediale Umgebung ändert. Das ist ja nun bekanntlich nicht der Fall. Die interaktiven Medienumgebungen werden ja auch, ob die Menschen im Rundfunk, die dort arbeiten und Programm machen, das wollen oder nicht, ihre Programme verändern. Und das ist in meinen Augen also eine viel größere Herausforderung, auch an den Begriff der informationellen Grundversorgung.


'Versorgung' ist in meinen Augen ein Begriff, der das gar nicht trägt, was jetzt gemeint ist. Weil Versorgung ist so ein Schub von hier nach da, das Abwerfen von Lunch Bags. Ja, das ist Versorgung, aber es geht darum, das Stichwort Medienkompetenz fiel ja schon, eben die tatsächliche Teilnahme am gesellschaftlichen Wissenserwerb zu organisieren. Da ist die Frage, welche selbstgewählte Rolle und welche gesetzlich zugestandene Rolle die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten da haben. Und da gibt es Defizite auf beiden Gebieten. Sie selbst sehen sich in vielen Fällen nicht so, jedenfalls die klassischen Fernsehmacher, die besonders, und Radiomacher zum Teil auch. Die denken eben an Programm und Quote. Und diejenigen, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, erst recht nicht, weil sie ja Rundfunkrecht und Medienrecht so voneinander trennen, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun haben soll. Die Länderverantwortung für Kultur, -- und Rundfunk gehört unter Kultur, also unter die Länder --, da sind ja sozusagen hochpolitische Mechanismen im Gange, die verhindern, dass eine vernünftige Diskussion um den Erwerb von Medien- und Wissenskompetenz in digitalen Medien geführt wird unter Teilnahme der Öffentlich-Rechtlichen.


Frank Fremerey: Da gibt es auch ganz viele absurde Konstruktionen, wie z.B. diese Entwicklung und den Beweis der Praxistauglichkeit von DMB ermöglicht haben. Die Firma Bosch, die da sehr engagiert ist, hat zum Beispiel Folgendes gemacht. Die sagen: 'Nein, wir machen keinen Rundfunk, sondern wir übertragen Videoinformationen. Wir beliefern einen Videoinformationsservice.' Ich mein, das ist natürlich auch eine schöne Konstruktion. So ein Videoinformationsservice für mobile Nutzer für 50 Millionen Mark pro Jahr bundesweit wäre gar nicht so schlecht ab 2010, wenn wir dann das Spektrum bekommen oder auch vielleicht was anderes. Ich sag ja gar nicht, wir müssen das jetzt mit DMB nutzten. Ich sag ja nur, es gibt effiziente Arten das zu verteilen, und die öffentlich-rechtlichen Sender müssten auf einen Teil des Spektrums, das ihnen jetzt lange zugeteilt war, verzichten zu Gunsten von anderen Möglichkeiten.


Frage: Ich glaube, es wäre sehr wichtig, bei der Diskussion zum Thema Vergessen zwei Dimensionen zu unterscheiden. Es gibt da zum einen die Frage, ob eine Information überhaupt vorhanden ist oder ob sie nicht vorhanden ist, im Internet als auch in anderen Medien. Und zum anderen die Frage des Ranking einer Information, das heißt, wie hoch eine Information in einer Suchabfrage auftaucht, an welcher Stelle. Diese Dimension gibt es natürlich auch beim Vergessen des Menschen. Das ist ja nicht nur so, ob eine Information da ist oder nicht. Das ist so eine harte Grenze, aber es ist ja auch so, dass Vergessen beinhaltet, -- ich denke, das wollten Sie implizieren --, dass bestimmte Informationen einfach früher da sind und so eine Filterung einsetzt. Das sind völlig verschiedene Sachen, ob die Information jetzt da ist oder nicht. Am Anfang des Internet war es so, dass man die Priorität ganz klar auf das Vorhandensein oder das nicht Vorhandensein der Information gelegt hat. Am Anfang war es wichtig, alle Informationen drin zu haben. Insofern würde ich Herrn Rotermund auch gerne widersprechen, dass im Internet durchaus so was wie ein Vergessen vorhanden ist, zwar nicht im Sinne, dass eine Information nicht mehr vorhanden ist, aber im Sinne des Ranking ist das Vergessen durchaus vorhanden. Das sehen Sie an jedem Google Ranking. Eine Seite, wie Sie selber gesagt haben, auf Stelle 10.000 ist praktisch vergessen und Informationen, die wichtig sind, werden nach oben gebracht. Das ist gerade der Mechanismus, der im Vergessen da ist. Da hat gerade das Internet trotz seiner technischen Mängel, die es hat, sehr, sehr stark aufgeholt, von einem Medium, in dem alle Informationen breit gestreut waren, ist es aufgetaucht, dass Informationen wie beim Menschen auch vergessen werden können im Sinne, dass sie ganz weit unten im Ranking stehen.


Und noch was zum geschulten Rezipienten und zu Medienkompetenz: Klar, wenn wir alle medienkompetent wären, dann könnten wir die Flut der Informationen besser bewältigen. Ich finde, man muss sich klar sein, dass es sehr, sehr viel Filtermechanismen geben muss. Das Medium selber ist ja ein Filtermechanismus. Bestimmte Medien haben eine größere Verbreitung. Brandings haben einen Filtermechanismus. Bestimmte Sachen gucke ich mir an, andere Sachen sehe ich direkt weg, und ein Google-Ranking ist auch ein Filtermechanismus. Die müssen alle zusammen greifen, damit wir eben gerade die an der Spitze liegenden wichtigen Informationen aus dem ganzen Datenstrom herauspicken können.


Hermann Rotermund: Ja, wenn ich dazu drei Sätze sagen darf. Ich stimme einem Teil der Erklärungen zu. Bewerten ist ein wesentlicher Teil dieses Vergessens/Erinnerns. Das tun wir und das tun wir in unserer eigenen Verantwortung. Was wir erleben müssen ist, wenn wir das übertragen, das, was Sie beschreiben, wenn man das auf das Ranking in Suchabfragen überführt, wer hat die Verantwortung für die Vergessensprozesse, die dort organisiert werden, durch die Software. Also, ich habe sie jedenfalls nicht mehr. Das ist mir weggenommen. Es ist keine Bereicherung, sondern das ist so ein Prozess der Enteignung von Information, der da stattfindet. Diese Begriffe haben aber nur dann einen Wert, wenn ich mich noch an den Leitfiguren der typographischen Kultur und Lebensform orientiere, nämlich eben Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit, jederzeitige Referenzierbarkeit und das Ganze machtgestützt.


Wenn es mir darauf ankommt, für bestimmte Entscheidungen in einem Dialog, den wir jetzt hier führen, Material zusammen zu picken, dann reichen die Suchmöglichkeiten, die ich im Internet habe mit geschickten Anfragen verbunden. Da reicht vor allem die Kompetenz, die jeder von uns hat, der sich jetzt zusammensetzt, um über eine Sache zu reden, meistens aus, um eine Entscheidung herbeizuführen und diese Entscheidung dann auch zu verantworten. Das ist aber dann ein systematischer Schlag gegen die ganze Buchkultur, die sagt, eine Entscheidung kann nicht zustande kommen, wenn sie nicht gestützt ist durch das systematisierte wahre Wissen, das seit 550 Jahren in den Bibliotheken angesammelt wird. Diesen Weg müssen wir dann bewusst gehen. Deshalb habe ich vorhin diese amerikanische Universität erwähnt, deren Namen ich leider vergessen habe, das ist gestern auf der Frankfurter Buchmesse in einer Veranstaltung erwähnt worden, die eben jetzt das Wagnis unternimmt auf diesen gesamten systematischen Fundus, den eine Bibliothek und ihr Referenzsystem bildet, zu verzichten zu Gunsten eines anderen Umgangs mit Wissen. Wobei, wenn man das mal ganz negativ beschreibt, nur eine letzte Bemerkung dazu, wobei es dann eben fürchterlicherweise so sein kann, dass studentische Arbeiten im Grunde nur noch aus dem Zusammenkopieren von durch Suchanfragen gefundene Materialien bestehen.


Frank Fremerey: Also, die Medienkompetenz, wir hatten ja eben über Symmetrie gesprochen, ganz am Anfang hat es damit angefangen, die Medienkompetenz was die Rankings angeht und das als Antwort auf Deine Frage, die muss ja nicht nur auf der Seite des Suchenden vorhanden sein, der eben schon eine Menge Wissen haben muss, um das zu finden, was er tatsächlich sucht, sondern auf Seiten desjenigen, der etwas bereitstellt. Ich habe meine Seiten alle in den Top Ten organisiert, aber ich weiß eben auch, wie ich die Meta-Tags mache und wie ich die Verlinkung mache. Das heißt also, wenn ich weiß wie die Technik funktioniert, kann ich auch dafür sorgen, dass meine Seiten oben im Ranking sind. Da brauche ich niemanden, der mir Spam schickt und sagt, ich bringe Dich in die Top Ten. Das sind die zwei Sachen. Ich sag mir, ich will folgende Begriffe haben. Ich will unter folgenden Begriffen gefunden werden, und wenn du die Begriffe eintippst, dann stehst du auch ganz oben.


Frage: Ich würde auch gerne mal auf die Frage der Symmetrie zurückkommen und Ihnen Herrn Rotermund noch eine Frage stellen. Volker Grassmuck hat Sie vorhin gefragt, inwiefern die alte Brecht-Utopie des sendefähigen Hörers hier im Öffentlich-Rechtlichen jetzt vielleicht doch mal realisierbar wäre. Und sie haben damit gekontert, sie haben gesagt, ja, das steht ja nicht im Auftrag drin; der ist ja rechtlich festgeschrieben. Ich weiß nicht, vielleicht habe ich Sie auch falsch verstanden. So ein Gesetz kann ja immer upgedatet werden, kann ja den technischen Möglichkeiten angepasst werden und der terrestrische Rundfunk bot diese Möglichkeiten des Rückkanals eigentlich nie wirklich. Die sind jetzt da. Vielleicht nehmen Sie dazu noch mal Stellung, ob das vielleicht gar nicht einfach im Sinne der Öffentlich-Rechtlichen ist, ob die das gar nicht als ihr Terrain verstehen, dass die vielleicht denken, das ist eigentlich Terrain anderer Zusammenhänge. Wir wollen bewusst nur Sender bleiben, wir wollen gar nicht den Rückkanal öffnen. Das soll in anderen Zusammenhängen geschehen.


Hermann Rotermund: Da antworte ich gerne drauf. Also, um hinten anzufangen und Brecht aber nicht zu vergessen, der rundfunkgesetzliche Auftrag ist tatsächlich nur Senden. Internet dürfen die Öffentlich-Rechtlichen nur machen, wenn es überwiegend der Darstellung des Programms dient, wobei Programm Radio- und Fernsehprogramm heißt und nicht das, was im Internet oder in anderen Medien veranstaltet wird. Dagegen gibt es bei allen, die in der ARD oder im ZDF Internet machen eine ganz klare Auflehnung und auch den Versuch, den auch Intendanten tragen, das Internet zu einer dritten Mediensäule zu machen, um eben nicht die Zukunftsfähigkeit zu verlieren, die ja darin besteht, nicht dass man im Internet als ARD auftritt, sondern durch das Interaktiv-Werden, das technische Interaktiv-Werden der Ausspielwege, nämlich beispielsweise bi-direktionales Kabel, hoffnungslos in Rückstand als Programmanbieter zu geraten, der dann dort keine mediengerechten Angebote machen darf, weil sich die technische Umgebung, unter der Rundfunk veranstaltet wird oder das, was es mal war, eben verändert haben.


Dieser Zusammenhang war vorhin meine Antwort auf die Brechtsche Formel. Das war eine polemische Forderung, die im Grunde ja eine gesellschaftliche Implikation hatte: Die Gesellschaft soll so sein, dass der Rundfunk nicht nur ein Distributionsapparat, sondern eben auch ein Kommunikationsapparat wird. Die ganzen Voraussetzungen sind in dieser Formel nicht enthalten. Ein Teil dieser Voraussetzungen sind technisch jetzt da. Die waren zu Brechts Zeit nicht da. Und ein kleiner polemischer Seitenhieb auf den guten Brecht: Das parallel zu seinem 1930 geschriebenen Aufsatz existierende Arbeiterradio, das versuchte -- und zum Teil auch illegal versuchte -- zu senden, was das Zeug hielt, das hat er komplett ignoriert. Das ging ihn nichts an.


Frank Fremerey: Der Rückkanal existiert ja gar nicht erst nur durch das Internet. Die Leute haben fast alle Telefon, und es gibt inzwischen, -- und da muss ich auch wieder sagen, in Sachen Programmerstellung sind die Öffentlich-Rechtlichen wirklich gut, -- es gibt inzwischen einige öffentlich-rechtliche Sender, die das Telefon als Rückkanal wirklich hervorragend nutzen. Da findet wirklich eine Debatte statt. Das ist nicht mehr nur so, ach der arme dumme Hörer, der will dann auch seine Meinung sagen, und Lieschen Müller sagt auch noch was und der tolle Moderator weiß das alles am besten, sondern es ist wirklich eine Sache, wo Leute miteinander diskutieren. Das funktioniert aber auch nur im öffentlich-rechtlichen System, teilweise auch mit niedrigen Einschaltquoten, aber vielen Stammhörern, weil die eben nicht unbedingt Werbung verkaufen müssen. Das finde ich eine gute Sache. Also, Rückkanal Audio über das Telefon, ja warum denn nicht?






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