english
 WOS 1 / Proceedings / Panels / 1. Von den Quellen des Sourcecodes / Claus Kalle / skript

Das Internet in Deutschland - Ein alter Hut?

Claus Kalle

(Dieser Artikel ist in Kompass 64, 18 Juli 1995 erschienen. Er ist die ausführliche Version eines unter dem Titel 'Step by Step' in der Zeitschrift iX, Nr. 10/94, erschienenen Artikels)


Ein Rückblick in die Geschichte

Die War Games beginnen

Koordination tut not oder ,,Die Mauer fällt"

In gleicher Münze (passend zur Währungseinheit Mitte 1990)

Wiedersehen in San Jose

Europäische Einbindung

Ein stabiles DE-NIC

Der Siegeszug des Internet

Abkürzungen/Organisationen (Gründungsdatum in Klammern)


Heute ist es in aller Munde -das Internet mit seiner amorphen, weltweit präsenten Infrastrukturals Basis für viele intelligente Netzdienste wie Mosaic/WWW, auchund nicht zuletzt in Deutschland. Doch das war nicht immer so - wie esdoch dazu kam, schildert dieser Artikel.


Ein Rückblick in die Geschichte

Aller internationaler Netze Anfangwar, zumindest aus der Perspektive der Universität zu Köln damalsmit ihren zentralen Mainframes, neben der teuren Nutzung von Datex-P innerhalbDeutschlands, Ende 1984 das EARN (European Academic Research Network).Das auf einem Standleitungsnetz basierende EARN konnte immerhin mit seinerStore-and-Forward-Technik schon mal Electronic Mail versenden, und da gabes dann in den USA auch irgendwo (nämlich bei wiscvm.wisc.edu) einGateway ins Internet, das man damals höchstens aus dem Kino (War Games)kannte. Woanders gab es zu jener Zeit erste auf Wählverbindungen undUUCP (Unix-to-Unix-CoPy) basierende Netze, wie z.B. das EUnet (EuropeanUnix Network).

Nun war E-Mail nicht alles,was das Herz begehrte, insbesondere nach dem Studium der per E-Mail besorgtenRFCs (Request For Comments, die Dokumente der Internet-Welt) überProtokolle wie TCP, IP, telnet, ftp und einem mehrere Zentimeter dickenListing, das über die verschiedenen Implementationen der Internet-Protokolleauf den unterschiedlichsten Hardware-Plattformen Auskunft gab. Dann kamfür das Rechenzentrum der Universität zu Köln Ende 1986die Ethernet-LAN Technologie ins Haus, und es ergab sich, daß aufdiesem damals erstmal mit einem Host und einigen Terminalservern betriebenenLAN die TCP/IP-Protokolle eingesetzt wurden. Auch im Institut fürtheoretische Physik der Universität zu Köln wurde etwas späterein LAN aufgebaut. Da nun nichts näher liegt, als zwei Netzinselnzu verbinden, wurde entsprechende Hard- und Software für die Microvaxdort besorgt und diese mit dem Frontend unseres Hosts mit einer Standleitungverbunden. Nach einigem "Learning by Doing" lief diese Verbindung dann.Dabei wurde IP über X.25 eingesetzt, allerdings das sogenannte DDN(Defense Data Network)-X.25, wir hatten es eben mit Software aus den USAzu tun. Und natürlich wurde "gut" geplant: Da nie (Stand Mitte 1986)eine direkte Konnektivität zum Internet in den USA möglich werdenwürde, wählten wir die IP-Netznummer 1.0.0.0, ein Class A Netz,um maximale Freiheiten zu genießen. In Deutschland und Europa warman damals ja vollkommen davon überzeugt und förderte auch politischund finanziell, daß die Protokolle der OSI-Welt in Kürze weitverfügbar und stabil implementiert seien, und damit eine Basis fürdie herstellerunabhängige Vernetzung existieren würde. Insbesondereder Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes e.V. (DFN-Verein),der übrigens in diesem Jahr sein 10-jähriges Jubiläum feierte,ist zu jener Zeit als der große Propagandist der verbindungsorientierten,OSI-basierten Protokollwelt in Deutschland zu nennen.

In der Universität zuKöln lief jedenfalls Ende 1987 eine TCP/IP-basierte Verbindnung zweierLANs recht stabil, eine gleichfunktionale OSI/X.25-basierte Lösungwar nicht absehbar. Diese Verbindung wurde auch nicht nur zum Mail-Transportgenutzt, sondern auch Batch-Eingabe und Druckausgabe der Mainframes konntedurch Einrichtung passender Gateways im Rechenzentrum zwischen den Mainframesund der entstehenden TCP/IP-Unix-Welt transportiert werden.


Die War Games beginnen

Im April 1988 kam eine interessanteEinladung auf den Tisch: Die Informatik-Rechnerbetriebsgruppe (IRB) derUniversität Dortmund veranstaltete den EUnet-Workshop. Dort stellteDaniel Karrenberg (heute RIPE-NCC, Network-Coordination-Center von RIPE,siehe auch Kasten) die Planungen zum europaweiten InterEUnet-Dienst vor,der direkten IP-Kontakt zum Internet bieten sollte. Zuvor war EUnet i.W.ein UUCP-basiertes Netz gewesen, mit internationaler DatexP-Anbindung nachAmsterdam. Nachdem Rüdiger Volk (ehemaliges DE-NIC, Network InformationCenter für Deutschland) dann auf entsprechende Überlegungen derIRB für Deutschland einging, verabredeten wir im Herbst 1988 ersteTests. Zum Glück gab es seit Anfang 1988 ein für solche Experimentegut brauchbares, volumenunabhängig tarifiertes Netz sozusagen alsVorläufer zum Wissenschaftsnetz, nämlich den NRW-Rechnerverbundals ein auf 9600- und 64000-Bps Standleitungen basierendes X.25-Netz.

Die IRB betrieb einen anonymous-ftp-Server,was nun endlich direkten anonymous-ftp-Zugang zu den wichtigen Quellenerlaubte. Besonders förderlich war es, mit den recht frischen Kopiender GNU- und anderer Public-Domain-Pakete (emacs, gcc, ISODE usw.) zu arbeiten.Auch war auf diesem Wege erstmalig Zugang zu Netnews und Internet-Mailmöglich, so daß man sich auf dem Laufenden halten konnte.

Neben der IRB an der UniversitätDortmund als IP-Geburtshelfer für Deutschland sollen auch die ähnlichgearteten Initiativen des Informatik-Lehrstuhls Professor Zorn an der UniversitätKarlsruhe zum Aufbau des XLINK (eXtended Lokales Informatik Netz Karlruhe)erwähnt werden, die eine Verbindung direkt nach USA zum NYSERNet anbot.Ende 1988 gab es jedenfalls schon einmal 2 Möglichkeiten, in DeutschlandKontakt zum Internet vermittelt zu bekommen.

Darüber hinaus war inBaden-Württemberg bereits 1987 vom damaligen Ministerium fürWissenschaft und Kunst das Landesforschungsnetz BelWü gegründetworden. Zunächst basierte BelWü auf Remote-Ethernet-Bridges,seit Ende 1988 wurden dort erstmals CISCO-Router eingesetzt. Nähereszu BelWü findet sich in iX-Heft 5/1993. Wie man schon ahnt, war BelWüanders als der X.25-basierte NRW-Rechnerverbund, von Anfang an eher aufdie Verbindung existierender Rechner und Netze, also z.B. den Einsatz vonTCP/IP, konzipiert und bildete so früh eine weitere IP-Insel in Deutschland.

Mit dem Essen kommt der Appetitund so wurde der Wunsch immer drängender, doch direkten Internet-Zugangzu bekommen. Anfang 1989 war anstelle der DatexP-Verbindung von Dortmundnach Amsterdam eine 19200-Bps-Standleitung in Betrieb genommen worden.Nach einigen Formalia (Brief über die Zusammenarbeit eines Institutsmit einem Partner in den USA als Begründung für den CONNECT-Status)und einigen Tests gelang dann der Aufbau der ersten direkten Verbindungenins Internet. Der aufmerksame Leser wird jetzt bemerken, daß damitim August 1989 eine erste Strafarbeit für die OSI-Gläubigkeitvon 1986 fällig wurde: Mit dem direkten Kontakt zum Internet mußtenwir an einem Tag mit entsprechendem Aufwand alle IP-Adressen der Universitätzu Köln von 1.m.n.o doch auf 134.95.n.o, ein offiziell registriertesClass B Netz, umstellen.


Koordination tut not oder ,,DieMauer fällt"

Im Jahre 1989 kam es zu einerersten Abstimmung der IP-Interessenten in Deutschland im Rahmen des 8.Workshops "Existierende Netze im Deutschen Wissenschaftsbereich" an derTU Harburg. Zuvor war bei der 3. Tagung "Nutzung und Betrieb von Rechnernetzen"in der Woche nach Pfingsten in Mannheim eine gewisse Liberalisierung desOSI-Regimes spürbar geworden. Diese Konferenzserie wurde 1986 alsErgänzung zum ansonsten durch den damals OSI-treuen DFN-Verein beherrschtenTagungsspektrum begründet. In der 11. Mitgliedsversammlung des DFN-VereinsMitte 1989 wurde vom Vorstandvorsitzenden Professor Dr. Jessen sogar diePlanung eines IP-Knotens in Deutschland angekündigt, wobei allerdingsangenommen wurde, daß "die Bedeutung der IP in der Zukunft gegenüberden OSI-Protokollen zurückgehen wird". Ende 1989 erklärte derDFN-Geschäftsführer Klaus Ullmann auf der 13. Mitgliedsversammlungdes DFN-Vereins, daß durch Einsatz entsprechender "IP-Relays" imWissenschaftsnetz entsprechend den Empfehlungen einer Arbeitsgruppe (diesich dann als WiN-IP-Planungsgruppe etablierte) der Zugang von TCP/IP-Hostszu den "INTERNETS" möglich werden sollte, und zwar direkt mit Betriebsbeginndes Wissenschaftsnetzes.

Auch in 1989 startete IBM dieEASINet-Initiative (European Academic Supercomputer Initiative Net), wodurchdann Anfang 1990 ein 1.5 Mbps Link vom CERN zum NSFNET(Cornell) mit einer256 kbps Verbindung zum DESY (Hamburg) verfügbar wurde.

Entsprechend der Versprechungauf der 13. Mitgliedsversammlung des DFN fanden sich im Dezember 1989 einigemit der TCP/IP-Technik vertraute Personen im Hause der damals noch "ZentraleProjektleitung" genannten Geschäftsstelle des DFN-Vereins zusammen,um den DFN-Verein zu beraten. Die WiN-IP-Planungsgruppe war geboren, derenAufgabe es werden sollte, sich um die operationellen Spielregeln zum Einsatzvon IP im Anfang 1990 eingerichteten Wissenschaftsnetz (WiN) Gedanken zumachen.

Im April 1989 waren auf europäischerEbene auf Einladung von Rob Blokzijl, National Institute for Nuclear Physicsand High-Energy Physics (NIKHEF), bereits Netzbetreiber unter dem Dachvon RIPE (Reseaux IP Europeen) zusammengekommen, um gemeinsam die existierendenInternet-Strukturen in Europa zu inventarisieren und allgemein zusammenzuarbeiten,um dadurch z.B. kostensparend Leitungen gemeinsam zu nutzen oder gegenseitigenBackup bei Leitungsausfällen zu vereinbaren.

Die Tendenz, auf europäischerEbene miteinander zu sprechen, wurde recht deutlich auf der im Mai 1990stattfindenden ersten "Joint EARN/RARE Networking Conference" in Killarney,Irland. Man wollte wohl mit dem Veranstaltungsort möglichst weit wegvon jedem Glaubenskrieg, der sich zwischen den recht pragmatisch orientiertenEARN-Betreibern und der Europäischen Dachorganisation der nationalenNetzorganisationen, wie etwa in Deutschland dem DFN-Verein, die EARN eherals durch OSI-Protokolle abzulösen ansah, abzeichnete. Unerwarteterweisetraten dort auch einige Amerikaner in einer kurzfristig angekündigtenSitzung auf, und Phil Gross stellte sich neben einigen anderen prominentenNetzwerkerInnen (u.a. Elise Gerich (Merit), Dan Lynch (Interop Inc.)) vor,und erläuterte, daß er es für nachdenkenswert halte, dieTCP/IP-Protokolle auch verstärkt in Europa einzusetzen. Er verwiesdabei auch auf die erfolgreichen Verfahren der Internet-Welt, wo, andersals in der OSI-Standard-Gremien-Welt, nur funktionierende Software Eingangin die Internet-Standardisierung finden kann.


In gleicher Münze (passendzur Währungseinheit Mitte 1990)

Und vom DFN-Verein gab es Mitte1990 immer noch keine IP-Dienste für die Nutzer des WiN. Allerdingswar es inzwischen gelungen, einige erste IP-Pakete über die zu Testzweckenseit Ende 1989 durch den DFN gemietete Standleitung Garching (IPP) - Chicago(Energy-Science-Net, ESNET) zu schicken, was aber wegen fehlender organisatorischerRahmenbedingungen wenig fruchtbar war. Danach fand in der Woche nach Pfingstenin Köln die 4. Fachtagung "Nutzung und Betrieb von Rechnernetzen"statt, auf der wohl für den deutschen Wissenschaftsbereich erstmaligdie Internet-Protokolle als unbestritten salonfähig im Mittelpunktstanden. Mit etwas Nachhilfe aus den Niederlanden (Rob Blokzijl) und Schweden(Bernhard Stockman) wurde den über 100 Teilnehmern bewußt, daßTCP/IP im WAN-Bereich tatsächlich funktioniert (außerhalb Deutschlandsjedenfalls), wo man sich in Deutschland noch mit Stabilitäts- undInteroperabilitätsproblemen der einzusetzenden OSI-Protokoll-Implementationen(FTAM, X.400, DFN-RJE) innerhalb Deutschlands und dem Pilotbetrieb vonder EU finanzierter Netzstrukturen wie IXI (International X.25 Interconnect)auseinandersetzen mußte.

Doch "schon" im Juni 1990 wurdeauch DFN-seitig auf der 10. DFN-Betriebstagung das Thema IP über WINöffentlich in die Tagesordnung aufgenommen. Dort wurden dann die bisherschon ohne Mitwirkung und in 1990 ohne finanziellen Ausgleich des DFN erreichtenErgebnisse der WiN-IP-Planungsgruppe zu einem Aufbau des WiN/IP-Betriebsund der ordentlichen Organisation der Zusammenarbeit der verschiedenenAnbieter internationaler Verbindungen (EUnet, XLINK, EASInet) dargestellt.Durch Zusammenarbeit der IP-Interessierten (u.a. Jürgen Kleinöder,IMMD IV, Uni Erlangen) war ein Class B Netz 188.1 als IP-Overlaynetz überdas X.25-basierte WiN definiert worden. Darin wurde jedem WiN-IP-Teilnehmereine IP-Adresse für sein X.25-Interface am Router zugeordnet und damitzwischen allen sogenannten vollfunktionalen Routern am WiN eine volle Vermaschungmöglich. Der Begriff vollfunktional war wichtig, um sicherzustellen,daß beim beteiligten Gerät nicht schon bei moderater Netzgröße(man rechnete mit ca. 100 Teilnehmern) interne Tabellen überlaufen,da es sich bei dem benutzten Verfahren um eine n**2-Methode bzgl. des Aufwandsan Tabellen handelte. Die WiN-IP-Planungsgruppe übernahm späterdie Festlegung entsprechender Begriffe. Der Sommer verging, beim DFN tatsich wenig bzgl. IP-Angebot, EUnet und XLINK hatten guten Zulauf. Die 1000DM im Monat für die Nutzungsgebühr waren offenbar nicht nur inKöln leicht in der Benutzerschaft einzuwerben.


Wiedersehen in San Jose

Im Herbst des Jahres trafen sichdann viele Beteiligte und Interessierte ganz woanders wieder: In San Jose,Kalifornien, bei der Interop 1990. Bis dahin waren DFN-seitig alle Hoffnungenauf die Realisierung einer weitgehend OSI- (Connection-Oriented-Network-Service,CONS) basierten Netzwelt gesetzt worden. Offenbar am Rande der Interop,wo DFN-Vorstand, GMD-Vorstand, Vertreter gewichtiger Einrichtungen ausdem HEPNET-Bereich (Hochenergiephysik-Netz) vertreten waren, wurde klar,daß die wahre, reine verbindungsorientierte OSI-Lehre nicht weiterzu vertreten war, ohne vollkommen ins Abseits zu geraten. Zudem begannenauch in dieser Zeit die Gedanken zu Client-/Server-Architekturen weiterzu sprießen und Unix als die Betriebssystem-Plattform zeichnete sichklar ab. Die nächste DFN-Betriebstagung (statt wie üblich imevangelischen Jahannesstift in Berlin-Spandau nun ausnahmsweise in Gosensüdlich von Berlin in einem ehemaligen Stasi-Objekt!) war dann imNovember 1990 das Forum, um den Richtungswandel näher zu erfahren.Dort erklärte dann auch Klaus Ullmann, technischer Geschäftsführerdes DFN, daß ein IP-Service des DFN-Vereins dringend notwendig seiund TCP/IP werde in den nächsten 5 Jahren notwendig sein. Auch dieNutzung der ConnectionLess-Network-Service (CLNS)-OSI-Variante, die imGegensatz zum verbindungsorientierten CONS steht, wird vom DFN nun anerkanntund in Projekten verfolgt (was dann wohl Ende 1993 im Projekt JOIN (JoinOSI-IP Networks) mündete) und es wird klar, daß auch die Nutzungvon OSI-Protokollen ab Ende 1992 für die Nutzer (wie schon bisherbei TCP/IP) Geld kosten wird. Der DFN-Verein will jetzt schnell im IP-Umfeldhandlungsfähig werden.

Im Dezember 1990 lädtder DFN-Verein wieder die WiN-IP-Planungsgruppe ein, um das weitere Vorgehenzu besprechen. Es gab inzwischen brauchbare Dienste von EASInet, EUnetund XLINK, und nun ging es darum, den neuen DFN-Dienst möglichst wohlkoordiniertzu beginnen. Nebenbei: Es war ein furchtbarer Schnee in Berlin danach,wir mußten sogar noch übernachten, weil die Flugzeuge in Tegelvereist waren. Und nicht nur die Flugzeuge waren vereist - der DFN hattenoch immer keine Person präsentieren können, die für dasDFN-IP-Geschäft hätte verantwortlich sprechen können undso endete die Sitzung ohne greifbare Ergebnisse, nur mit einer Liste vonVoraussetzungen für ein nächstes Treffen.

Auf der nächsten Sitzungder Gruppe am 21. Januar 1991 in Köln war immerhin als Fortschrittzu verbuchen, daß DFN sich in einem Letter of Intent auf den AuftragnehmerGMD für die Erbringung von IP-Vermittlungsdienstleistung festgelegthatte, obwohl bemerkenswerterweise kein DFN-Vertreter anwesend sein konnte.Offen blieben weiter die Fragen nach der DE-NIC-Plazierung, der Koordinationmit den anderen Dienstanbietern (EASINET, EUnet, XLINK) und der europäischenEinbindung. Immer um positive Ergebnisse gemüht, begann die Planungsgruppemit der Erstellung von Arbeitspapieren wie etwa zu NIC- und NOC-Requirements,Dokumentation-Requirements, Nameserver-Konfiguration und Router-Konfiguration.In der Folgezeit kam es in mehreren Sitzungen zu einer recht fruchtbarenZusammenarbeit der IP-Protogonisten aus Hamburg (Dr. Hans Frese, Lutz Brunke),Karlsruhe (Arnold Nipper), Stuttgart (Peter Merdian, Joseph Michl, UlrikeDillmann), Dortmund (Andreas Schachtner), Bielefeld (Frank Klapper), Erlangen(Jürgen Kleinöder, Dirk Husemann, Törleß Eckert),St. Augustin (Manfred Bogen, Ferdinand Hommes, Paul Mies, Willi Porten),Köln (Axel Clauberg, Claus Kalle) und immer wieder Dortmund (RüdigerVolk). Erstellte Papiere zu organisatorisch-betrieblichen Themen wurdenwie alle Dokumente/Protokolle der Gruppe per anonymous-ftp öffentlichverfügbar gemacht (auf deins.informatik.uni-Dortmund.DE),diskutiert und fortgeschrieben. Letztendlich war zu bedauern, daßder DFN die Ende 1989 auf der 13. Mitgliederversammlung gemachte Zusage,mit der vollen Inbetriebnahme des Wissenschaftsnetzes WiN im April 1990auch entsprechende internationale TCP/IP-Konnektivität bereitzustellen,erst über 1 Jahr mit einem eigenen Serviceangebot verspätet erfüllenkonnte, obwohl es technisch und auch sonst nicht unmöglich sein konnte,wie die Beispiele EUnet und XLINK bereits zeigten.


Abbildung 1:Mitte 1991 gab es Wege verschiedener Bandbreite aus Deutschland ins Internet,aber nur einige zum europäischen Internet-Teil


Europäische Einbindung

Doch Partner für deutscheWissenschaftler sitzen nicht nur in USA und Deutschland, sondern auch inden europäischen Nachbarstaaten. Auf europäischer Ebene hattesich mit RIPE eine Koordinationsgruppe etabliert, die sich als Diskussionsplattformfür IP-Netzbetreiber und Nutzer in Europa versteht. Von einigen Netzbetreibernwurde dann 1991 begonnen, eine europäische IP-Backbone-Struktur namensEBONE zu planen und aufzubauen. EBONE war von Anfang an als Konsolidierungsmaßnahmeder existierenden europäischen Netze konzipiert und wurde durch dieVerbindung der von den verschiedenen Teilnehmern eingebrachten ResourcenWirklichkeit. Zunächst war hier auch deutsche Teilnahme (DESY) beimAufbau einer Diamant-Topologie geplant, letztlich ergab sich dann aberein Diamant westlich an Deutschland vorbei (Stockholm-London-Montpellier-CERN-Amsterdam-Stockholm). Der DFN-Verein stand diesen RIPE- und EBONE-Aktivitätenbestenfalls abwartend positiv gegenüber.

Nachdem in einem Gesprächmit dem Vorstandsvorsitzenden Professor Haupt (RWTH Aachen) und Herrn Ullmann(DFN-Geschäftsstelle) am 10. Juli 1991 die Vorschläge und Bedenkender Planungsgruppe besprochen wurden, kam es am 12. November zu einer Diskussionüber die Europäische Einbindung der DFN-IP-Dienste in einer Sitzungdes technischen Ausschuß des DFN. Dort wurde klar, daß in dernächsten Zeit mit keiner Berücksichtigung der mehrfach auch aufDFN-Betriebstagungen vorgebrachten Bedenken zu rechnen war und DFN beieiner vorzugsweisen Berücksichtigung der X.25-basierten OSI-Protokollweltenbleiben wollte, da, wie der technische Geschäftsführer schätzte,in den nächsten Jahren mit 100.000 OSI-Hosts in Deutschland und 500.000OSI-Hosts im europäischen Forschungsbereich zu rechnen sei. Die großeHoffnung wurde auf ein damals noch nicht existentes European MultiProtocolBackbone (EMPB) gesetzt. Mitglieder der WiN-IP-Planungsgruppe verfaßtendann, wie in der Sitzung des technischen Ausschuß beschlossen, zurProblematik der europäischen Konnektivität dann noch ein Papier( ftp://deins.informatik.uni-dortmund.de/WiN-IP/WiN-IP-PG/empfehlungen/europa-anbindung-jan92.txt), auf das vom DFN-Verein allerdings keineReaktion und Diskussion folgte.


Ein stabiles DE-NIC

Ab 1.1.1991 war der Ende 1990gefährdete, bislang auf freiwilliger Basis geleistete Betrieb desDE-NIC bei der IRB Uni Dortmund endlich durch einen Vertrag mit dem DFN-Vereinzunächst wenigstens finanziell gesichert, was auf dem Weg zu einergemeinsamen Finanzierung durch die Nutzer sicher als ein Schritt in dierichtige Richtung zu werten war. Leider verschärfte sich im Laufedes Jahres die Problematik wieder, der DFN-Verein wollte das DE-NIC inBerlin ansiedeln, und so war die Perspektive für ein stabil etabliertes,funktionierendes DE-NIC mit seiner Zuständigkeit für Deutschlandals delegated registry der IANA und dem Betrieb entsprechender Dienstewieder eine offene Frage. Beim DE-NIC wird die Domainnamen-Vergabe, Verwaltungder Internet-Adressen und auch der Betrieb der Rechners mit den Primary-Nameserver-Definitionenfür ganz Deutschland wahrgenommen. Nachdem Verhandlungen zwischenDFN-Verein und Universität Dortmund auch im 3. Quartal 1991 nichterfolgreich einvernehmlich abgeschlossen werden konnten, gab es im 4. Quartalintensive Aktivitäten zur Gründung einer Interessensgemeinschaftder Internet-Benutzer in Deutschland, um die Belange der Nutzer der Internet-Weltintensiver vertreten zu können. Auf Einladung von Dave Morton (ECRC)und anderen fand sich am 6.12.1991 in den Räumen der Siemens AG, München,zum ersten Mal DFN-unabhängig die deutsche Internet-Community mitmehreren 100 Teilnehmern zusammen, um die DE-NIC Problematik und andereIP-bezogene Themen und gemeinschaftliche Aufgaben offen zu diskutieren.Durch entsprechende Teilnehmeranteile aus nicht-akademischen Einrichtungenwurde hier auch deren Interesse an einer geregelten IP-Infrastruktur inDeutschland deutlich. Während der CeBIT'92 fand dann die formale Gründungder Deutschen Interessen-Gemeinschaft Internet e.V. (DIGI) statt. DIGIhat seitdem neben wichtigen DE-NIC-bezogenen Aktivitäten und der Arbeitder Arbeitskreise zwei gutbesuchte Tagungen mit Tutorials unter dem NamenOPENNET veranstaltet. In 1994 wird die OPENNET in Göttingen stattfinden.


Der Siegeszug des Internet

Im Jahre 1991 wurden, nachdemalle Verkehrsprognosen für das WiN übertroffen wurden, die ersten"intelligenteren" Anwendungen im Internet, wie z.B. archie, verfügbar.Dieser Trend verstärkte sich in 1992 mit der beginnenden Durchsetzungvon Informationssystemen wie Gopher und WAIS, die eine immer stärkerwerdende Akzeptanz von TCP/IP auch im deutschen Wissenschaftsbereich zurFolge hatten. Die Aktivitäten der WiN-IP-Planungsgruppe setzten sichauch in 1992 fort. Es wurde u.a. eine Umfrage zur Nutzung und Akzeptanzder IP-Dienste verschiedener Serviceprovider durchgeführt ( ftp://deins.informatik.Uni-Dortmund.DE/WiN-IP/umfrage.9211/),ausgewertet und präsentiert.

In 1992 begannen dann auchInitiativen wie der Individual Network (IN) e.V. mit dem Aufbau alternativerVerfahren und Strukturen zur Bereitstellung von IP-Diensten. Auch das INnahm im Weiteren aktiv an der Gestaltung der deutschen IP-Landschaft teil,indem z.B. Andreas Bäß ( gun.de)zu den Sitzungen der WiN-IP-Planungsgruppe beitrug. Nicht zuletzt die Netnews-Verteilungwäre ohne die IN-Mitarbeit nur schleppend vorangekommen.

Weiter konnte in 1992 die Diskussionzur Regelung eines ordentlich finanzierten und institutionalisierten DE-NICmit längerfristiger Perspektive vorangetrieben werden. In dem vonDIGI ins Leben gerufenen DE-NIC-Beirat wurde in Zusammenarbeit zwischenden Dienstbietern mit Beratung der WiN-IP-Planungsgruppe die wahrzunehmendenAufgaben näher spezifiziert und eine Realisierungsmöglichkeitgesucht. Auch die Dienstanbieter entwuchsen allmählich den Kinderschuhen:Das Drittmittelprojekt EUnet der IRB der Uni Dortmund wurde Ende 1992 zurGmbH und auch das XLINK-Projekt an der Uni Karlsruhe wurde, allerdingserst Ende 1993, Tochter der NTG, ihrerseits Tochter von Bull.

Anfang 1993 wurde dann derWirkbetrieb des 2 Mbps-WiN aufgenommen, was einen Schub für die Nutzungder TCP/IP-Anwendungen ergab, denn nun war es im WiN möglich, in akzeptablerZeit auch Bitmap-Grafiken im Weitverkehrsbereich zu übertragen (X11,GIFs usw.). Auch NCSA Mosaic als WWW-Browser ist eine typische Anwendung,die Bandbreiten weit über 64 Kbps erfordert, um Grafiken schnell genugübertragen zu bekommen. Neben dieser deutschlandinternen Bandbreitenerhöhungwurden auch die Leitungen ins Ausland regelmäßig dem Bedarfangepaßt. Insgesamt ist weltweit ein z.Zt. noch exponentielles Wachstumverschiedener Kenngrößen des Internet (Verkehr, Anzahl Hosts)zu beobachten.


Abbildung 2:Die Datenmenge der von der GMD ins Ausland vermittelten IP-Daten wächstexponentiell (die Y-Achse ist logarithmisch geteilt).

Eine andere Neuerung Anfang1993 war auch der Betrieb eines EBS (EBONE Boundary System) in St. Augustinbei der GMD, allerdings nicht für die deutsche Wissenschaftswelt.Dabei wäre dies eine gute Möglichkeit gewesen, endlich die IP-Strukturenin Deutschland wohlkoordiniert international einzugliedern (siehe Abb.3). Für die vom DFN versorgten Einrichtungen wurde jedoch in 1993die Realisierung des EMPB unter dem Dach von DANTE Ltd. für die Anbindungan die Wissenschaftsnetze einiger europäische Staaten verfügbar.


Abbildung 3:So hätte die europäische Einbindung von Deutschland als EBONE-Erweiterungin 1993 aussehen können (RBS=Regional Boundary System, EBS=EBONE BoundarySystem, Begriffe aus dem Text: ftp.ripe.net:/ebone/docs/ebone-management.txt).

Die Realisierung von bereitsAnfang/Mitte 1992 gemachten Gedanken zum Aufbau einer Backbone-Strukturim Wissenschaftsnetz (WiN-2000) wurde in 1993 konkreter angefaßt:die IP-Router am WiN mußten bisher voll vermascht konfiguriert werden,d.h. an jedem Ort mußten alle X.25 Adressen und Adressen/Routen alleranderen Router am WiN statisch konfiguriert werden. Dieses O(n**2)-Verfahrenstieß schon seit einiger Zeit an die Grenzen der Durchführbarkeit,weil bei über 100 Routern am WiN eine einigermaßen zeitgleicheAktualisierung der Konfigurationen nicht mehr funktionierte. Daher wurdeunter dem Arbeitstitel WiN-2000 Ende 1991 auf einer DFN-Betriebstagungund wieder im Sommer 1992 beim Workshop "Existierende Netze im deutschenWissenschaftsbereich" in Dortmund vorgeschlagen, einen Backbone von untereinandervollvermaschten Routern im WiN zu bilden, auf den dann die anderen Routereinfach per default-route ihren Verkehr lenken konnten. Auf der bislangletzten Sitzung der Planungsgruppe wurde der DFN-Verein im April 1993 bezüglichdem Aufbau eines solchen WiN-IP-Backbone beraten.

Der Betrieb der USA- und Europa-Verbindungdes DFN wurde in 1993 neu vergeben. Nach langer Ungewißheit überdas Ergebnis der DFN-Überlegungen wurde das Rechenzentrum der UniversitätStuttgart mit den bisher von Netzzentrum Wissenschaft der GMD in St. Augustinwahrgenommen Aufgaben der IP-Vermittlung ab dem 1. Januar 1994 betraut.Dort wird seitdem auch der Betrieb des WiN-IP-Backbones, der entsprechendden oben skizzierten WiN-2000-Überlegungen aufgebaut wird, gesteuert.

Schließlich konnte 1993eine stabile DE-NIC-Perspektive gefunden werden. Das Gremium IV-DENIC,bestehend aus den Dienstanbietern und einer DIGI-Vetretung, vergab nachmehreren Beratungen den Auftrag zur Wahrnehmung der DE-NIC-Aufgaben unterFederführung des DFN-Vereins an das RZ der Universität Karlsruheab dem 1. Januar 1994.

Somit ist wohl zumindest fürden Wissenschaftsbereich als DFN-Klientel der Internet-Betrieb in Deutschlandeinigermaßen in ordentlichen Bahnen, wenn auch u.a. noch die Frageeines Backup-Agreements zum USA-Zugang offen ist. Die Siegeszug der Internet-Weltim allgemeinen drückt sich aber einfach auch dadurch aus, daßanfangs unkonventionelle Projekte (wie EUnet und XLINK) wie von selbstdurch ihren Erfolg und nicht durch Fördermittel des Bundes oder derEU reif für die Wirtschaft wurden und damit die Anfangspunkte einerin ihren Folgen noch nicht absehbaren Entwicklung der Informationsgesellschaftin Deutschland darstellen.





Abkürzungen/Organisationen(Gründungsdatum in Klammern)

DANTE- Delivery of Advanced NetworkTEchnologies Ltd: Gesellschaft zur Bereitstellung einer eupropäischenInfrastruktur für die Forschungsnetz-Vereine in Europa (1993)

EARN- European Academic ResearchNetwork: Entstanden auf Initiative der IBM in 1983 durch Sponsoring desVerbunds verschiedener unter im Wesentlichen unter VM/SP betriebenen IBM-Mainframes(1983)

EBONE- European Backbone: Multiprotokoll-Standleitungsnetzdurch Verbund bestehender Leitungen und Resourcen (1992)

EMPB- European Multiprotocol-Backbone:Konkurrenzveranstaltung zu EBONE, organisiert durch DANTE (1993)

DIGI- Deutsche InteressengemeinschaftInternet e.V.: Das Dach der deutschen TCP/IP-Community, Veranstalter derOpennet-Tagungen (1992)

DFN- Deutsches ForschungsnetzVerein e.V.: Verein zur Förderung eines deutschen Forschungsnetzes.Organisiert und finanziert u.a. Forschungsprojekte aus dem Netzbereichmit BMFT-Mitteln (1984)

IAB- Internet ArchitectureBoard: heute Arbeitsgruppe der ISOC, früher als Internet ActivitiesBoard Teil des informellen kooperativen Entscheidungsfindungsprozessesim Internet (1986)

IANA- Internet Assigned NumbersAuthority: Jon Postel beim Information Sciences Institute

ISOC- Internet SOCiety: WeltweiterVerbund der Internet-Community (1992)

IV-DENIC- InteressenverbundDE-NIC: Gruppierung zur Finanzierung des DE-NIC, gebildet aus Service-Providern(stimmberechtigt) und DIGI (nur beratend) (1993)

IXI- International X.25 Interconnect:EU-gesponserte Initiative zur Demonstration eines europaweiten X.25-Wissenschaftsnetzes(1991)

RARE- Reseaux Associes pourla Recherche Europeene: Dachorganisation der europäischen Forschungsnetze.(1986)

RIPE- Reseaux IP Europeens:Verband der IP-Anwender in Europa. 1989 entstanden durch Initiative einigerIP-Proponenten auf europäischer Ebene. Betreibt RIPE-NCC (NetworkCoodination Center) in Amsterdam. Seit Frühjahr 1991 formal Teilorganisationvon RARE. (1989)


[^] top


Creative Commons License
All original works on this website unless otherwise noted are
copyright protected and licensed under the
Creative Commons Attribution-ShareAlike License Germany.