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Florian Cramer




Einführung in das Open Content Panel

"Open Content" heißt unser Thema. Es ist kein schönes Wort, deutet als Abwandlung von "Open Source" aber auf zwei Fragen hin, die sich bereits in vorherigen Diskussionen gestellt haben, besonders eindringlich in der Debatte über Urheberrecht und Ökonomie. Die erste Frage hat Sebastian Hetze gestern formuliert: Ob Freie Software auf eine Tradition der freien Wissensvermittlung zurückgeht, die es schon immer gegeben hat, nämlich in den Wissenschaften, - also dort, wo die Erfindung des Eins-plus-Eins-gleich-Zwei selbstverständlich nicht patentiert wird, sondern als freies Wissen zirkuliert -, und in der traditionellen Buchkultur, die seit Jahrhunderten Bibliotheken als nichtkommerziellen Distributionskanal besitzt. Inwieweit also übernimmt Freie Software Paradigmen der Wissenschaft und der bisherigen Buchkultur?

Die zweite Frage lautet: Was passiert, wenn diese alten Paradigmen übernommen werden für digitale Daten, die unbegrenzt kopierbar sind, in denen der Unterschied von Original und Kopie abgeschafft ist? Offensichtlich verändert sich an diesem Punkt etwas Entscheidendes. Es entsteht, was Rishab Ghosh vorhin eine "Cooking Pot Economy" genannt hat, eine Ökonomie, die keine Mangelökonomie mehr ist. Der Begriff des Eigentums ist in ihr nicht mehr so gegeben, wie er in der traditionellen Buch- und Wissenschaftskultur auf Grund technischer Herstellungs- und Vertriebsbedingungen immer noch gegeben war.

Deshalb sind die Erfahrungen, die die Freie Software schon seit zwanzig Jahren mit ihrer Lizenzpolitik, dem Copyleft, sammeln konnte, nicht problemlos rückübertragbar auf die Wissenschaften, die Buchkultur und die Künste, deren Digitalisierung erst begonnen hat. So wäre es eine Revolutionierung des bisherigen Publikationswesens, wenn man z.B. Dissertationen in elektronischen Datenbanken nicht nur suchen und im Volltext lesen dürfte -- was noch ein großes Desiderat ist --, sondern dies im Sinne von Freier Software und "Open Content" auch (a) kostenlos tun dürfte und mit (b) dem Recht, alle verfügbaren Texte zu modifizieren, sie in modifizierter oder nichtmodifizierter Form weiterzuvertreiben und (c) nach eigenem Ermessen sogar Geld dafür zu verlangen, ohne den Urheber zu bezahlen. Hier zeigt sich deutlich, daß sich mit der Genese der Freien Software, mit ihrem Ethos des Quelltextes als frei verfügbarem Wissen, eine Schriftökonomie herausgebildet hat, deren Freiheitsbegriff weitaus radikaler ist als die traditionelle Zitierfreiheit der Wissenschaften und Künste. Zu klären ist, ob die Freie Software als Avantgarde des Schreibens in Computernetzen für sich Konsequenzen gezogen hat, die andere Künste auch einmal ziehen werden müssen im Zuge ihrer Digitalisierung.

Das also sind Fragen, die wir diskutieren werden. Zu Gast sind Wissenschaftler, die Probleme von Wissensvermittlung und Normsetzung auf "Open Source" beziehen werden, und wir werden auch Beispiele künstlerischen Arbeitens unter den Bedingungen der Netzökonomie sehen. Der Netzkünstler Alexei Shulgin wird Werke präsentieren und über das Problem ihrer Lizenzierung sprechen, und schließlich wird uns vom deutschen Ableger des ältesten Vertreters des "Open Content" berichtet, dem Gutenberg-Projekt.

(Transkription Katja Pratschke)



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