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Das öffentlich-rechtliche System und seine Archive

Zu dieser Fassung:
Vornehmstes Ziel dieses Vortrages ist, durch Hintergrundinformation eine Diskussionsbasis zu schaffen.

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Verwendete Materialien:
www.bmwi.de/Homepage/download/doku/Doku481_D.pdf
www.kef-online.de/misc/12bericht.pdf
www.lfk.de/presse/hintergrundinformationen/RedeHi000621.pdf
Gespräche mit dem Bundesforschungsministerium und Herstellerfirmen, diverse eigene Recherchen und Artikel im Computermagazin c't, Hannover.

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Vorab möchte ich anmerken, dass ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Hersteller von Programmen sehr schätze und zwar sowohl als Hörer als auch als Autor und Produzent. Der Begriff "Rundfunk" meint in diesem Vortrag stets "Hörfunk" und "Fernsehen" gemeinsam, wenn es um nur eins von beiden geht, gebrauche ich diese Begriffe.
Da der zweite Vortrag von einem Literaturwissenschaftler gehalten wird, der seinen Schwerpunkt wahrscheinlich mehr auf die kulturellen Aspekte der öffentlich-rechtlichen Sender in den Zeiten der Digitalisierung und Vernetzung legen wird, erlaube ich mir, als mehr naturwissenschaftlich geprägtem Menschen, den Schwerpunkt meines Vortrags auf die technisch-politischen Aspekte zu legen.
Ich will Sie als Zuhörer jedoch nicht mit technischen Details langweilen, Interessierte können sich diese gerne später von mir besorgen. Zudem habe ich mich auf lediglich zwei Aspekte beschränkt, weshalb viele auch wichtige Aspekte, wie zum Beispiel Empfangsgeräte mit intelligenten Zwischenspeichern, leider Auáen vor bleiben müssen.
Wenn ich an "öffentliches Wissen" im Zusammenhang mit dem real-existierenden "öffentlich-rechtlichen Rundfunk" in Deutschland denke, möchte ich folgende zwei Bereiche besonders hervorheben:
Die Bedeutung von antennengebundenen, auch terrestrisch genannten, Verteilungsressourcen für die Öffentlichkeit und besonders für mobile Nutzer, sowie die Bedeutung der Rundfunk-Archive und der Zugang zu ihnen.
Die Luft, die wir atmen und die darin enthaltenen Möglichkeiten zur öbertragung von Informationen mittels elektromagnetischer Wellen ist eine Ressource, über deren Nutzung die Allgemeinheit zu befinden hat, weil sie der Allgemeinheit gehört. In der Praxis übergibt in unserem Staatswesen die Bevölkerung die Entscheidungsbefugnis darüber an die Parlamente und Regierungen.
So kam es, dass im vergangenen Jahr die Bundesregierung für den Verkauf von gerade einmal 20 Megahertz des elektromagnetischen Spektrums in einem für Mobilanwendugen nicht einmal besonders attraktiven Bereich 100 Milliarden Mark kassiert hat, wogegen hinter den Kulissen daran gearbeitet wird, 380 Megahertz Spektrum in einem für Mobilkommunikation sehr gut geeigneten Bereich dauerhaft mit Fernsehprogrammen zu blockieren.
öber die Nutzung derart wichtiger öffentlicher Ressourcen muss in einer Demokratie öffentlich und transparent diskutiert werden. So etwas darf nicht in kleinen Zirkeln zwischen Politikern und dem Führungspersonal der öffentlich-rechtlichen Sender im Stillen ausgehandelt werden, wie es derzeit geschieht.
Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland haben die unrühmliche Tradition, sich stets um die künstliche Verknappung von Verteilungsressourcen zu bemühen. Dies ist verständlich, weil die Sender gerne so viele Zuschauer wie möglich an sich binden wollen, um ihren politischen Einfluss zu sichern.
Dazu bieten sie einerseits und völlig legitim, wenn auch oft nicht gerade kosteneffizient, attraktive Programme an, andererseits sorgen sie aber dafür, dass potentielle Konkurrenz nicht oder sehr spät zum Zuge kommt. Einer der beliebtesten Wege das zu tun besteht aus vier Schritten:
  1. Im Vorfeld dafür zu sorgen, dass möglichst wenig Verteilungsressourcen zur Verfügung stehen. In der Vergangenheit etwa durch das Besetzen von UKW-Kernfrequenzen, womit verhindert wurde, dass mehr als 6 landesweite Radio-Programme in Nordrhein-Westfalen technisch möglich sind und aktuell mit dem Versuch, DVB-T durchzusetzen. Dazu später mehr.
  2. Von den übriggeblienen Ressourcen möglichst viele mit eigenen Programmen zu belegen und dafür Geld und politische Unterstützug zu organisieren.
  3. Durch möglichst hohe Zugangskosten die Nutzung der verbleibenden Ressourcen effektiv zu behindern.
  4. Wo sich das Entstehen neuer Verteilungsressourcen nicht verhindern lässt, den Prozess der Genehmigung möglichst lang hinauszuzögern.
Am Beispiel der Planungen für die Digitalisierung des terrestrischen Fernsehens, also des Fernsehens per Antenne, lässt sich das besonders deutlich zeigen:
Im Moment sind dem terrestrischen Fernsehen insgesamt etwa 380 Megahertz des elektro-magnetischen Spektrums über Deutschland zugewiesen. Darin veranstalten die öffentlich-rechtlichen Sender mit etwa 450 Millionen DM drei bundesweite analoge Fernsehprogramme, die insgesamt zwischen 6 und 15 Prozent der Bevölkerung erreichen. Zusätzlich geben Privatfernsehveranstalter 55 Millionen DM pro Jahr aus, um in einigen Ballungsräumen auch per Hausantenne empfangbar zu sein.
Die weitaus meisten Fernsehzuschauer empfangen ihr Programm per Kabel oder Satellit. Ich will mich hier nicht über Zahlen streiten, aber wenn ich sage: Weniger als 20% der Bevölkerung schauen terrestrisch fern, stimmt es auf jeden Fall und die Tendenz ist sinkend.
In diesen 380 Megahertz Public Domain wäre es mit sofort verfügbarer und praxiserprobter Technik möglich, bei Abschaltung der Analogtechnik etwa 80 bundesweite terrestrische Fernsehprogramme zu veranstalten. Man könnte dieselbe Technik nutzen, um unter Beibehaltung des analogen Fernsehens für jeden dort vorhandenen Kanal einen weiteren digitalen zu schalten, etwa um einen gleitenden öbergang von analog zu digital zu ermöglichen. Die Verbreitung eines jeden solchen Fernsehprogramms würde den Veranstalter etwa 50 Millionen DM pro Jahr kosten. Der Name dieser Technik ist DMB, Digital Multimedia Broadcasting. Und DMB ist nur ein Beispiel für eine effiziente, preiswerte, zukunftssichere und variable Nutzungsmöglichkeit dieses Spektrums. Sie ist allerdings die einzige, für die es bisher Endgeräte gibt, die ihre Praxistauglichkeit bereits unter Beweis gestellt hat und die sofort verfügbar ist.
Aber sie ist derzeit nicht erlaubt und vorläufig politisch nicht gewollt.
Stattdessen wird unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit geplant, diese 380 Megahertz öffentliche Ressource mit einer ungeeigneten und nicht erprobten Technik komplett zu belegen, die offiziell 20 bundesweite Fernsehkanäle ermöglichen soll. Technische Schwierigkeiten und Probleme in der internationalen Frequenzkoordination verhindern allerdings, dass es tatsächlich 20 Kanäle geben kann. Der Betrieb eines solchen bundesweiten Senders wird nach Berechnung der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Würtemberg im Jahr 150 Millionen DM kosten, wenn man mit dem geplanten Versorgungsgrad rechnet.
Im übrigen wäre die dafür nötige elektro-magnetische Feldstärke etwa 10000 mal so hoch wie die Feldstärke von UMTS. Wenn man sieht, dass sich heute schon um jeden Mobilfunkmast eine Bürgerinitiative von Elektrosmog-geplagten sammelt, ist die politische Durchsetzbarkeit dieser Technik eher fragwürdig.
Die 1,5 Milliarden Mark Rundfunkgebühren für 10 geplante öffentlich-rechtliche terrestrische Digitalsender haben sich die Anstalten bereits per Gebührenerhöhnug genehmigt, behaupten Insider, die das Verschleierungslatein von KEF-Berichten zu lesen im Stande sind. KEF steht für Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs.
Der Aufbau der Sendernetze für diese Technik kann allerdings frühestens 2008 beginnen, da die internationale Koordination der Frequenzen erst im Jahr 2005 überhaupt beginnt. Die Vorbereitungen dafür laufen derzeit, es ist also noch möglich, diese Verschwendung öffentlicher Ressourcen zu verhindern. Der Name dieser Technik lautet übrigens DVB-T für Digital Video Broadcasting Terrestrial.
Wenn es um die Nutzung einer so wertvollen Ressource wie öbertragungskapazität in der Luft geht, sollte die Öffentlichkeit darüber diskutieren und entscheiden, ob sie diese tatsächlich nur für Fernsehen nutzen will oder ob andere damit mögliche Dienste, wie zum Beispiel extrem preiswerte und robuste mobile Internetdienste vielleicht einen Teil dieses Spektrums abbekommen sollten.
Es gibt gewiss viele Nutzer, die es begrüáen würden, wenn sie im fahrenden Zug oder auch auf einem Ausflug mal eben für ein paar Pfennig ihre Email abfragen könnten oder auch ein paar Webseiten laden. Zusätzlich stünden eine sehr groáe Anzahl Audio- und Videodienste mobil zur Verfügung. GSM, der weltweit am meisten genutzte Handystandard, ist dafür nur als Rückkanal geeignet, weil zu teuer und mit zu geringer Bandbreite.
Um eine Hausnummer für die möglichen Preise zu nennen: Eine 2,3kBit-"Standleitung" in Download-Richtung für eine Fläche von 100 Quadratkilometern kostet im Monat unter 5 Mark oder 100 DM für 64 kBit, wobei vom Anbieter nur die tatsächlich genutzte Zeit oder Datenmenge berechnet werden muss.
 
Zusammenfassung des ersten von zwei Teilen des Vortrags
Öffentliches Wissen braucht zugängliche und bezahlbare Verbreitungsmöglichkeiten. Die öffentliche Ressource öbertragungskapazität in der Luft darf daher nicht auf Dauer vom öffentlich-rechtlichen System blockiert werden. Es ist noch Zeit, das zu verhindern.
Zum Zweiten also, den Archiven der öffentlich-rechtlichen Sender:
Vorab möchte ich auf meine sehr gründliche Abhandlung der technisch-politischen Aspekte dieser Archive verweisen, die 1999 im "c't - Magazin für Computertechnik" erschienen ist und die über meine Homepage verlinkt ist. Die Adresse lautet: http://homenetz.com, der Titel des Aufsatzes lautet "Der digitale Sender - Hörfunk und Fernsehen aus dem Computer".
Zusammenfassend und ergänzend möchte ich das Folgende anmerken:
  1. Nur ein geringer Teil des Gesendeten landet tatsächlich in den Archiven. Es gibt derzeit keine gesetzlichen Vorgaben, was archiviert werden soll und was nicht.
  2. Die technischen Kosten für digitale Archive sind sehr gering und diese Kosten sinken weiter, da Computerspeicher eingesetzt werden. Für den Südwestrundfunk beispielsweise gilt, dass ein Speicher für seinen kompletten Audiobestand nur einen Bruchteil des Geldes kostet, den der Sender jährlich für Magnetband ausgibt.
  3. Da jedoch die heutigen Archivbestände gröátenteils auf Magnetband gespeichert sind, entstehen beim öberspielen dieser Bänder in computerlesbare Formate sehr hohe Personal-Kosten und es dauert potentiell sehr lange. Der WDR rechnet allein fürs öberspielen seines Audioarchivs mit etwa 35 Mannjahren.
  4. Mit der Umstellung der Hörfunk- und Fernsehproduktion auf EDV-Technik ist das Archivieren in Zukunft allerdings mit einen Knopfdruck erledigt. Hier besteht eher die Gefahr, dass Archivstücke zwar vorhanden sind, aber ohne entsprechende Metainformation nicht mehr auffindbar sein werden. Um dem vorzubeugen, wird angestrebt, diese Metainformation in Zukunft im standardisierten MPEG-7-Format zu schreiben. Das bedeutet allerdings für den Archivierenden ein gerütteltes Maá an Disziplin und einen zusätzlichen Zeitaufwand, den erfahrungsgemäá nicht jeder bereit ist aufzubringen. Auch die Frage der internen Lese- und Schreib- und Löschberechtigungen stellt sich. Auch dafür fehlt ein verbindlicher rechtlicher Rahmen.
  5. Wenn es um die Frage des Archivzugangs geht, treten die technischen Fragen jedoch in den Hintergrund. Hier geht es ausschieálich um juristische, vor allem urheberrechtliche Fragen und politische Entscheidungen.
In der Diskussion gibt es folgende Bandbreite der Auffasssungen:
Die einen sehen die Archive der öffentlich-rechtlichen Anstalten als öffentliches Gut an, weil sie aus Steuer-und Gebührengeldern finanziert sind und als Teil des kollektiven Gedächtnisses eine wichtige historische und medienhistorische Originalquelle sind, die die öffentlich-rechtlichen Sender vorzuhalten, zu bewahren und verfügbar zu machen haben. Für eine solche, vom Open-Source-Gedanken geprägte Auffassung, fehlt allerdings bisher eine politische Willensbildung und Beschlussfassung.
Die öffentlich-rechtlichen Anstalten selbst sehen die Archive als ihren Besitz an, den sie nur intern zu nutzen berechtigt sind. Sie verteidigen diese Auffassung, indem sie auf nicht von der Hand zu weisende juristische, vor allem urheberrechtliche Schwierigkeiten bei der Verwertung der allermeisten Archivstücke verweisen. Daher herrscht in der Kathedrale öffentlich-rechtlicher Rundfunk bis heute noch der kalte Wind der geschlossenen Quellen.
 
Fazit
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich in Sachen Ausbildung und Programmherstellung groáe Verdienste erworben und beweist täglich, dass er notwendig ist.
Die Zusatzaufgabe Programmverteilung nutzt er bis heute, um auf inakzeptable Weise öffentliche Ressourcen, und zwar Gebührengelder und elektro-magnetisches Spektrum, zu verschwenden und zukünftige Möglichkeiten, besonders der mobilen, terrestrischen und interaktiven Kommunikation zu blockieren.
Im Bereich der Archive müssen dringend deutliche politische Zeichen gesetzt werden, um die Herrschaft der Kathedrale über diesen Kernbestand des öffentlichen Wissens zu beenden und ihn zugänglich zu machen.
Frank Fremerey Berlin am 11. Oktober 2001


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